Mit dem August kommen die Sommergespräche im ORF so regelmäßig wie die Schwalben im März. Als sie vor Jahren erfunden wurden, war die Idee, mit den österreichischen Parteichefs einmal in Ruhe "Gespräche mit Tiefgang" zu führen, abseits der alltäglichen Routine. Aber hat dieses Prinzip heute noch Sinn? Es wäre unfair, Faymann und Co jeglichen Tiefgang abzusprechen. Sie werden schon welchen haben. Nur: Sie interessieren einen einfach nicht wirklich.

An sich gehört es zu den erlesensten Medienvergnügen, gescheiten und sympathischen Leuten beim Reden und beim Nachdenken zuzuhören und zuzuschauen. Man wird mit neuen Ideen konfrontiert, man lernt etwas, und wenn die Befragten Humor haben, dann amüsiert man sich auch. Aber unsere Parteichefs hat man im Fernsehen schon bis zum Überdruss gesehen. Man hat sie im Radio gehört und in Zeitungsinterviews gelesen. Man weiß, was sie zu sagen haben. Und sie wiederum wissen, was sie sagen müssen, um die jeweils andere Seite zu ärgern, die eigenen Parteigänger zufriedenzustellen und die Kronen Zeitung nicht zu reizen. Sie haben es in zahllosen ZiB-Interviews und Pressestunden geübt. Sind sie überhaupt noch imstande, ein authentisches Gespräch "mit Tiefgang" zu führen, gleichsam von Person zu Person?

Der ORF weiß um diese Schwierigkeit und hat sich in den vergangenen Jahren nach Kräften bemüht, seine Sommergespräche mit allerhand Gags aufzupeppen. Originelle Kulissen. Schöne Landschaften. Historische Schauplätze. Im Vorjahr die Königsidee: bekannte Kulturschaffende als zusätzliche Frager neben der Hauptinterviewerin Ingrid Thurnher. Der Erfolg war mager. Interviewen will gelernt sein, und die Schriftsteller und Schauspieler machten dabei mehrheitlich keine besonders gute Figur. Ingrid Thurnher hatte zu tun, um zu retten, was zu retten war.

Für heuer hat man sich als Ko-Frager erfolgreiche Wirtschaftstreibende ausgesucht. Eine etwas problematische Idee. Wirtschaftskapitäne können interessante Menschen sein, aber sie verfolgen ihre eigenen Interessen. Sie wollen etwas von den Politikern, etwa Staatsaufträge und niedrige Steuern. Das ist durchaus legitim. Aber eignen sie sich als kritische, objektive Gesprächspartner von Repräsentanten der Macht? Sind sie wirklich die Vertreter des allgemeinen Fernsehpublikums, das zum Großteil aus Arbeitnehmern besteht?

Es gibt auch Sommergespräche anderer Art. Ö1, das mit Abstand beste Produkt des ORF, und Profil machen es vor. Sie führen ihre sommerlichen Gespräche nicht mit den Vorsitzenden der politischen Parteien, sondern mit interessanten Persönlichkeiten aus allen Gebieten. Es zeigt sich, dass es im Lande eine Menge Leute gibt, die Ideen und Meinungen haben, die zu hören es sich lohnt. Sie bereichern den öffentlichen Diskurs. Solche Formate leisten das, wozu Medien da sind: die Gesellschaft ins Gespräch mit sich selber zu bringen. Das Resultat nennt man Demokratie.

Lassen wir doch unsere Parteichefs einfach ihre Arbeit machen. Aber als Sommer-Entertainer sind sie entbehrlich. (Barbara Coudenhove-Calergi, DER STANDARD; Printausgabe, 3.8.2010)