Das Notarztteam: Martin Zinner (li.), Christian Fohringer (2. v. li.), Anita Neudorfer (re. vorne) und Viktoria Schinnerl. Alle helfen freiwillig

Foto: Möseneder

St. Pölten - Mit ihrem Medicopter-Vorschlag kann sich Anita Neudorfer dann doch nicht durchsetzen. Ihre Kollegen vom Arbeiter-Samariter-Bund (Asbö) St. Pölten, die in dieser Samstagnacht den Notarztdienst in und um die niederösterreichische Landeshauptstadt versehen, können sich nicht dafür erwärmen, die Rettungshubschrauber-Fernsehserie auf DVD anzusehen. Also wird das normale TV-Programm zur Ablenkung benutzt.

Neudorfer, Viktoria Schinnerl, Fahrer Martin Zinner und der Notarzt Christian Fohringer warten darauf, dass Pager, Handy und Funkgerät aktiv werden und so einen Notfall signalisieren. Und damit Gabi wieder gebraucht wird. So wurde der rund 100.000 Euro teure Notarztwagen getauft, der in der Garage des Stützpunktes im Landesklinikum St. Pölten steht.

Schwieriger auf dem Land 

Gerade ist man von einem Einsatz zurückgekommen. Eine Hochzeitsfeier in einem Ort nördlich von St. Pölten hat plötzlich eine dramatische Wende genommen. Eine ältere Frau sei bewusstlos zusammengebrochen, lauten die knappen Informationen der Leitstelle. Martin Zinner lenkte das vier Tonnen schwere Fahrzeug durch den strömenden Regen zum Einsatzort. Im Gegensatz zu Städten wie Wien ist die Herausforderung auf dem Land höher. "Speziell im Winter, auf verschneiten Bundesstraßen." Die Anfahrtszeit könne dann schon zwanzig Minuten und mehr betragen. "Aber es bringt nichts, wenn man schneller fährt. Wenn man einen Unfall hat, gibt es plötzlich vier Schwerverletzte."

Antun müssten sich Zinner, Neudorfer und Schinnerl das alles eigentlich nicht. Sie sind freiwillige Helfer, die teilweise 24 Stunden Wochenenddienst machen. Warum? "Einerseits ist es ein gutes Gefühl, wenn man den Menschen hilft", meint Neudorfer. "Und dass man das erworbene Wissen auch anwenden kann."

Fast 800 Stunden theoretische und praktische Ausbildung muss man absolvieren, ehe man Notfallsanitäter werden kann - das sind 100 normale Arbeitstage. Doch selbst dann hat man nicht die Gewissheit, immer erfolgreich zu sein.

"Natürlich gibt es Fälle, die einen nachdenklich stimmen", sagt Notarzt Fohringer. "Vor einigen Wochen ist ein Mann, Ende 40, in der Arbeit mit Herzversagen zusammengebrochen. Wir haben eineinhalb Stunden alles versucht, um ihn zu reanimieren, es hat alles nichts gebracht."

Hochzeitsgast filmt mit

Im Fall der Hochzeit läuft es besser. Die Frau ist zwar desorientiert und verwirrt, nachdem sie aufwacht. Vor Ort wird ein EKG gemacht, und die Patienten erhält Medikamente. Auf der Rollbahre wird sie in den Wagen geschoben und in das St. Pöltener Krankenhaus gebracht. Die Retter werden dabei von einem Hochzeitsgast mit einer Videokamera gefilmt, wie Zinner kopfschüttelnd feststellt. Im Spital gibt Neudorfer bei der Ankunft den diensthabenden Ärzten seine Einschätzung bekannt, ehe man wieder in den Stützpunkt einrückt und Einsatzformulare ausfüllt.

Dort beginnt wieder das lange Warten. Manchmal kommen die Alarme stündlich, dann wieder passiert stundenlang nichts. Die Helfer nutzen daher jede Möglichkeit, in den Zimmern, die jeweils mit Duschen ausgestattet sind, zu schlafen. Die Unterkünfte teilen sie sich wochenweise alternierend mit den Rettungskollegen vom Roten Kreuz, mit denen es aber kein Konkurrenzverhältnis gebe, wie Asbö-Obmann Wolfgang Daxböck im Gespräch mit dem Standard versichert. Jede Organisation wäre alleine zu klein, um alle Einsätze bewältigen zu können, ist er überzeugt. Auch dass der Asbö eindeutig eine parteipolitisch "rote" Organisation sei, bringe kein Problem mit sich. "Die Parteipolitik mag vielleicht auf höheren Ebenen eine Rolle spielen, an der Basis und für den Patienten spielt es überhaupt keine Rolle, ob ein roter, schwarzer, blauer oder grüner Sani hilft."

"Rettungs-Rambos" unerwünscht 

Für das Helfer-Quartett spielt Politik keine Rolle. Sie waren schon in der Schule beim Asbö oder sind nach dem Zivildienst dazugekommen, wie Martin Zinner. Die "Rettungs-Rambos", wie sie Obmann Daxböck nennt, die dazukommen, weil sie sich spektakuläre Einsätze erhoffen, sind dagegen schnell wieder weg. Jenen, die bleiben, geht es ums Retten und Helfen.

In dieser Nacht kommen die Freiwilligen nicht mehr dazu, ihre Fähigkeiten zu demonstrieren. Erst gegen acht Uhr morgens kommt der nächste Alarm. Rettungssanitäter machen sich Sorgen um eine alte Frau, die in ihrer Wohnung in St. Pölten mit Schwindelgefühlen auf ihrem Sofa liegt. Nach kurzer Anamnese entscheidet Notarzt Fohringer aber, dass sie im normalen Rettungsfahrzeug ins Krankenhaus transportiert werden kann. Also geht die Fahrt zurück zum Stützpunkt. Und zum Warten ohne Medicopter. (Michael Möseneder, DER STANDARD Printausgabe, 3.8.2010)