Der Bahnhof kurz nach der Explosion.

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Zugabteil nach der Explosion.

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Gedenktafel mit den Namen der Opfer im neu aufgebauten Bahnhof.

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Region der Emilia-Romagna.

Grafik: Standard

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Demonstranten am 2. August 2005.

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Trauerfeier vorm Bahnhof in Bologna.

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"Bologna vergisst nicht."

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Anfang August, Beginn der Hauptsaison in Italien. Die Hitze steht in Bologna, der Hauptstadt der Region Emilia-Romagna im Norden Italiens. Das ganze Land ist in Bewegung, verabschiedet sich in die Ferien. Unweit des Zentrums Bolognas, im Wartesaal der zweiten Klasse im Bahnhof sitzen die Menschen auf Plastiksesseln, warten auf Züge und Anreisende. Gepackte Koffer stehen neben ihnen, Kinder spielen, um sich die Zeit zu vertreiben. Die Uhrzeiger stehen auf 10.25, als im Westflügel des Bahnhofs eine Bombe in die Luft geht, deren Explosion in der ganzen Stadt zu hören ist. Die Bahnhofshalle, die Arbeitsräume, die Cafés und Geschäfte krachen zusammen und reißen das Dach mit sich. Ein Zug auf Bahnsteig Eins explodiert, die Unterführung stürzt komplett in sich zusammen, ein paar Stunden später finden die Rettungskräfte dort die meisten Opfer.

Zwei Minuten nach der Explosion fährt die erste Rettung ein. Autobusse und Taxis bringen die Verletzten ins Spital. Gelber, oranger und schwarzer Rauch steigt von den Trümmern auf, die von der Station übrigbleiben. Ein Chaos aus Rauch, Asche und Schutt, darunter Helfer, die sich wie Zombies bewegen, hilflose Polizisten, die nach Verstärkung rufen, Überlebende, die starr an Zigaretten ziehen, leblose Körper, die zwischen Schutt und Asche geborgen werden. Ein Ruinenfeld, auf dem weiße Stapel von weißen Leinentüchern verteilt werden, winselnde Männer und Frauen und ein mit bibberndem Mund nach Worte ringender Staatspräsident, der von zwei kleinen Kindern erzählt, die er eben gesehen hat und die im Sterben liegen. 

"La strage di Bologna"

85 Menschen starben an diesem 2. August 1980, 200 weitere wurden verletzt. Das Attentat von Bologna, "la strage di Bologna", war der Höhepunkt einer Reihe von politisch motivierten Anschlägen und Morden, die ganz Italien zwischen Ende der Sechziger und Mitte der Achtziger erschütterten. Die Drahtzieher kamen von links wie von rechts: die linksextremen "Roten Brigaden" zündeten ebenso Bomben wie neofaschistische Terrororganisationen.

30 Jahre später erinnern eine Marmorplatte mit ihren eingravierten Namen, ein Riss in der Wand und eine Mulde im Fußboden, an denen sich heute noch Reisende bekreuzigen, an die Opfer des Anschlags. Die Uhr steht weiterhin auf 10.25 und auch der Vorwurf, die Hintermänner des blutigsten Anschlags seit Ende des Zweiten Weltkriegs seien niemals zur Rechenschaft gezogen worden, steht weiterhin im Raum. Am 2. August 2010 gedenkt Bologna nicht nur der Opfer des Anschlags, es lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit einmal mehr darauf, dass die Justiz weiterhin im Dunkeln tappt und die Ermittlungen bis heute keine Ergebnisse gebracht haben. Jahr für Jahr stehen rund 200 Angehörige im Zentrum Bolognas, auf der Piazza Maggiore, heuer tragen den Namen der Verstorbenen auf weißen Plakaten auf ihren Körpern. 

"Nichts ist passiert"

Die Namen werden in die völlige Stille hinein gelesen, dann marschiert die Menge in einem Trauermarsch, ausgehend vom Neptun-Platz nahe dem Hauptplatz bis zum Bahnhof. Begleitet vom Applaus der Bewohner Bolognas, ehe die Teilnehmer für eine Minute im Gedenken verstummen. Unter ihnen auch Mitglieder der "Associazione tra i familiari delle vittime della stragealla stazione di Bologna del 2 agosto 19080", jener Organisation, die sich die Aufklärung des Attentats auf die Fahne geheftet hat. Deren Vorsitzender Paolo Bolognesi, der den Anschlag selbst erlebt und dabei Angehörige verloren hat, greift die Regierung an: Zu Beginn der Amtsperiode Silvio Berlusconi sei ihnen vonseiten der Regierung zugesichert und versprochen worden, dass sich etwas tun würde bei den Ermittlungen.

"Nichts ist passiert", ruft Bolognesi in die Menschenmenge. Es wirke fast so, als hätten die Politiker genug von den jährlich stattfindenden Demonstrationen. "Die Demonstrationen sind kein Störelement, sie sind Symbol einer Zivilgesellschaft, die sich nicht stillkriegen lässt." Bislang betrug der Zeitrahmen, in dem ermittlungsrelevante Dokumente unter dem Siegel des Staatsgeheimnisses den Richtern vorenthalten werden können, 30 Jahre. Angehörige der Opfer hoffen schon lange auf Einblick in die Akten. Eine Regierungskommission prüft allerdings derzeit, ob die Maximaldauer der Geheimhaltung weiter ausgedehnt werden kann. Solange die Kommission prüft, bleiben die Akten unter Verschluss. "Die Enttäuschung darüber ist groß", sagt Paolo Bolognesi.

"Das ist gut so"

Die Regierung nimmt dieses Jahr nicht an den Trauerfeierlichkeiten teil. "Das ist gut so", lässt Carlo Giovanardi, Senator der regierenden PdL (Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis "Popolo della Libertà") ausrichten. "Jedes Jahr findet in Bologna dieses traurige Spektakel statt, an dem Hass und Neid gegen jene, die sich politisch zu verwirklichen versuchen, ausgesprochen wird, anstatt den Toten zu gedenken und den Schmerz zu verarbeiten." Er selbst habe am Begräbnis der Opfer teilgenommen. Aber heute werde der Anschlag nur mehr instrumentalisiert, um amtierende Politiker mit einer Reihe von Beschuldigungen und Beschimpfungen zu überhäufen.

Andere Worte findet Staatspräsident Giorgio Napolitano: Die Ermittlungen seien noch lange nicht zu Ende, man sei es den Opfern und deren Angehörigen schuldig, "dass alle Institutionen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" an der Aufklärung "dieser furchtbaren Episode" arbeiteten.

Geheimloge Propaganda Due

Sieben Jahre nach dem Attentat wurde nach einer Reihe von Widerständen und Ablenkungsmanövern der Prozess gegen 20 Angeklagte eröffnet. Acht Jahre und vier Gerichtsinstanzen später wurden die beiden rechtsextremen Terroristen (Nuclei Armati Rivoluzionari, NAR), Francesca Mambro und Giusva Fioravanti, zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Paar bestreitet bis heute die Verwicklung in das Attentat, gab derweil stattdessen die Beteiligung an 13 anderen politischen Morden zu. Sie sehen sich als Sündenböcke, die von den eigentlichen Drahtziehern ablenken sollen.

Außerdem wurden der Vorsitzende der Geheimloge Propaganda Due (P2), Licio Gelli, Francesco Pazienza und die beiden Beamten des militärischen Geheimdienstes SISMI, Pietro Musumeci und Giuseppe Belmonte, wegen Behinderung der Ermittlungen verurteilt. Gelli selbst bekam niemand zu fassen. Kurz vor seiner Verurteilung zu zehn Jahren Haft wegen subversiver Tätigkeiten floh er in die Schweiz. Zwar wurde er kurz darauf abgeschoben, allerdings unter der Bedingung, dass er nicht mehr wegen der Mitschuld am Attentat belangt werde. Die Schweizer Behörden stuften den Prozess als politisch ein und verboten die Abschiebung aus diesem Grund. Heute lebt er abgeschirmt in einer Villa in der Toskana.

Viele Verschwörungstheorien, aber keine Antworte

Die bis vor drei Jahren andauernde gerichtliche Aufarbeitung brachte ein Wirrwarr aus zahlreichen Verschwörungstheorien ans Tageslicht: Mal ist von palästinensischen Terroristen die Rede, mal von Terroristen aus Frankreich, dann wieder von US- und israelischen Geheimdiensten, von Verbindung zur Geheimorganisation "Gladio", der paramilitärische Organisation der NATO, der CIA und der britischen MI6 in Italien währrend des Kalten Krieges.

Auch der Vorwurf, dass die Hintermänner von höchster Stelle geschützt würden, hält sich hartnäckig. Wenige Monate nach der Explosion in Bologna fand man die Liste der Mitglieder der Loge im Geheimarchiv von Licio Gelli: hochrangige Militärs und Geheimdienstler, Richter und Staatsanwälte, eine ganze Reihe Politiker, Geschäftsleute. Gelli selbst behauptet kurz nach seiner Verhaftung, dass sieben Minister der ersten Regierung Berlusconis Mitglieder seiner Loge gewesen seien und dass Berlusconi mit der Machtübernahme den Großteil seines Plans bereits umgesetzt habe.

Dieser Fahrplan sah die allmähliche Machtübernahme über Politik und Medien vor und steht schwarz auf weiß im Erneuerungsprogramm Licio Gellis, das vor seiner Verurteilung beschlagnahmt worden war. Der "Piano die Rinascita", eine Anleitung zum Staatsstreich, beinhaltet das Verschwinden der Linksparteien, das Auflösen der Gewerkschaft, die Aushöhlung des öffentlichen, das Aufbauen des privaten Fernsehens und soll Gellis "Plan" anstelle der Verfassung stellen. (fin, derStandard.at, 2.8.2010)