Nicolas Sarkozy will im September ein Gesetz vorlegen, das es ermöglicht, „jeder Person ausländischer Herkunft", die einem Ordnungshüter nach dem Leben trachtet, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Die Ankündigung erfolgt wenige Tage nach den Vorstadtkrawallen in Grenoble, bei denen Unbekannte mit scharfer Munition auf die Polizei geschossen und dabei Autoscheiben zertrümmert hatten.

Die Initiative wäre ein Novum: Erstmals in der Geschichte Frankreich soll die Abstammung bei der Strafzumessung eine Rolle spielen. Zur obligaten Strafe würden Ex-Ausländer zusätzlich sanktioniert. Jetzt kann die Aberkennung der Bürgerrechte nur gegen Franzosen ausgesprochen werden, die gegen die „ureigensten Interessen der Nation" - etwa durch Spionage oder Terrorismus - verstoßen. Am Sonntag erklärte Innenminister Brice Hortefeux, dass neben Polizistenmördern auch Sklavenhalter, Genitalverstümmler und „andere Schwerverbrecher" die Staatszugehörigkeit verlieren sollten. Opfer der zwei genannten Tatbestände sind meist junge Afrikanerinnen, die in französischen Haushalten ausgebeutet oder aufgrund religiöser Rituale ihrer Klitoris beraubt werden.

Widerspruch zur Verfassung

Warum gerade diese Delikte einbezogen werden sollen, bleibt unklar; genauso gut könnte Hortefeux Vergewaltigern, Pädophilen oder Serienmördern mit dem Passentzug drohen. Alle diese Delikte fallen nicht unter die „ureigensten Interessen der Nation".
Politisch ungebundene Juristen wie Guy Carcassonne meinten ohne Umschweife, das neue Sicherheitsgesetz der Regierung widerspreche der französischen Verfassung; Artikel eins garantiert die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, und dies unabhängig von Herkunft, Rasse oder Religion. Das Gebot der „Égalité" ist in Frankreich so sakrosankt, dass der oberste Verfassungshof nicht einmal die Erstellung „ethnischer" Statistiken zulässt - selbst wenn die für Antidiskriminierungs-_Aktionen benützt werden sollten.

Schätzungen zufolge haben etwa ein Drittel der Franzosen zumindest teilweise ausländische Wurzeln. Wenn Sarkozy wirklich die maghrebinische Immigrationsjugend ins Visier nehmen will, muss er die Angabe „ausländische Herkunft" konkretisieren. Nicht auszudenken, welche Folgen dies in den Vorstädten hätte, nachdem Sarkozy diesen am Freitag bereits den „Krieg" erklärt hatte. Der _Immigrations-Historiker Patrick Weil warnte am Sonntag in der Regionalzeitung La Voix du Nord: Mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft zu spielen, sei „wie mit der Atombombe zu spielen".

Die Opposition reagierte vehement. Der Sozialist Pierre Moscovici sagte am Wochenende, die Bildung einer „Unterkategorie von Franzosen" erinnere „an die dunkelsten Stunden unserer Geschichte" - gemeint ist das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime. Andere Politiker meinten, Sarkozy wolle mit seinen demagogischen Vorschlägen aus dem Umfragetief kommen und von der Bettencourt-Affäre ablenken. Der Grüne Noël Mamère fügte sarkastisch an: „Herr Le Pen und seine Tochter müssen sich gar nicht mehr äußern, die Kopie spricht an ihrer Stelle." Das war nur insofern falsch, als sich der Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen ebenfalls zu Wort meldete und kritisierte, Sarkozy kupfere die Vorschläge seiner Partei ab. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2010)