Dem iPhone 4 auf den Zahn gefühlt: magisch oder tragisch?

Foto: Birgit Riegler

Das neue Gehäuse des iPhone 4: besonders flach, aus Edelstahl und speziellem Glas

Foto: Apple

Die Antenne hat Apple in einem Rahmen aus Edelstahl integriert. Wird der Rahmen am schwarzen Streifen auf der linken Gehäuseseite mit der Hand verdeckt, kommt es zu einer Schwächung des Signals.

Foto: Apple

Wer das iPhone mit drei oder vier Fingern hält beim Telefonieren, sollte nicht Gefahr laufen, die kritische Stelle zu berühren. Alle anderen können bei Apple kostenlos eine Schutzhülle anfordern.

Foto: Birgit Riegler

Zu den Neuheiten in iOS 4 zählen unter anderem die neuen Homescreen Ordner und Multitasking. Auch um ein neues iPod Widget hat Apple sein Betriebssystem erweitert.

Screenshot: Birgit Riegler

Das wichtigste neue Feauture von iOS 4 ist Multitasking. Die offenen Apps werden durch schnelles, zweifaches Drücken des Homescreen-Buttons in einer eigenen Leiste angezeigt. Durch Halten eines Icons, erscheinen kleine Minuszeichen, über die die Apps geschlossen werden können. Auf einmal können nur vier Apps angezeigt werden, durch Wischen über den rechten Rand gelangt man zu den weiteren Anwendungen. 

Screenshot: Birgit Riegler

Apps können in Ordnern gesammelt werden, indem man die Icons einfach aufeinander zieht. Die Ordner erhalten automatisch passende Namen, können aber auch vom Nutzer selbst benannt werden.

Screenshot: Birgit Riegler

Die 5-Megapixel-Kamera macht Fotos mit leuchtenden Farben und gutem Makro-Fokus, sowohl bei Tag ...

Screenshot: Birgit Riegler

... als auch bei Nacht.

Screenshot: Birgit Riegler

Facetime konnte im Test nicht ausprobiert werden - da kein zweites iPhone 4 zur Verfügung stand. Das Feature funktioniert ohne Setup, aus den Kontaktdetails heraus.

Screenshot: Birgit Riegler

Um kein anderes Handy herrscht ein ähnliches "Griss" - auf gut Wienerisch gesagt - wie um das iPhone. Wien war am vergangenen Freitag auch der Schauplatz, an dem die ersten iPhone 4 in Österreich offiziell über den Ladentisch gingen. T-Mobile rief zum Mitternachtsverkauf auf und mehrere Hundert Personen warteten trotz unwirtlichen Wetters stundenlang auf das neue Apple-Handy.

"Willst du gelten ..."

Zur Begehrlichkeit trägt die Tatsache bei, dass Apple den Hype durch geringe Stückzahlen zum Marktstart anheizt. Die Mobilfunker bekommen zum Start lediglich ein paar Tausend Stück. Kunden müssen vorab fix bestellen oder sich registrieren lassen. Nach dem Motto "willst du gelten, mach dich selten", ist das Gerät dadurch sofort ausverkauft. Ob die vierte Generation des erstmals 2007 lancierten Smartphones tatsächlich so gut ist, wie die Kundennachfrage und der mediale Hype suggerieren? Der WebStandard hat es getestet.

Ausstattung

Die wichtigsten technischen Ausstattungsmerkmale waren zwar dank Gizmodo schon vor der offiziellen Präsentation bekannt, der Vollständigkeit halber sollen die wichtigsten Eckdaten hier nochmals kurz angeführt werden. Das iPhone 4 besitzt ein 3,5 Zoll großes Multitouch-Display, einen 1-GHz-Prozessor, 512 MB Arbeitsspeicher, wahlweise 16 oder 32 GB Speicher, eine 5-Megapixelkamera auf der Rück- und eine VGA-Kamera auf der Vorderseite. GPS, WLAN 802.11b/g/n und Bluetooth 2.1 sind bei dem Gerät ebenfalls vorhanden, das in GSM-, EDGE- , UMTS- und HSPA-Netzen funktioniert.

Display

Eines der Hardware-Highlights ist der Screen, dem Apple den Namen Retina-Display verpasst hat. Mit 3,5 Zoll ist es nicht das größte Display am Markt, doch die Auflösung von 960 x 640 Pixel ist von der Konkurrenz derzeit unerreicht. Wie Apple schon bei der Präsentation versprochen hat, sind mit freiem Auge tatsächlich keine Pixel auf dem Bildschirm zu erkennen. Dabei handelt es sich nicht nur um einen Marketing-Gag. Die hohe Auflösung macht Schrift auf dem Smartphone-Display deutlich besser lesbar als auf anderen Geräten. Selbst bei sehr kleiner Schriftgröße bleiben die Buchstaben gestochen scharf. Der Retina-Bildschirm ist zum Lesen von News oder Büchern das derzeit beste Smartphone-Display.

Design

Eine Neuerung im Vergleich zur Vorgänger-Version 3GS ist beim iPhone 4 auch das Design. Mit Abmessungen von 115,2 x 58,6 x 9,3 mm ist das 137 Gramm schwere Gerät trotz des großen Displays sehr kompakt. Wie gewohnt befindet sich auf der Vorderseite nur die Hometaste. An der Oberseite sind ein 3,5 mm Kopfhöreranschluss und die Ein/Aus- bzw. Standby-Taste angesiedelt. An der linken Geräteseite gibt es zwei Tasten für die Lautstärke und einen Schieber, um das Gerät lautlos zu stellen. Statt eines micro-USB-Anschlusses setzt Apple auf den eigenen Dock-Anschluss. Die Rückenabdeckung lässt sich wie üblich nicht entfernen, der Akku ist fix verbaut. Die microSIM-Karte wird über einen kleinen Einschub auf der rechten Seite eingesetzt.

Glas und Edelstahl

Der leicht abgerundete Rücken ist einer ebenen Oberfläche aus speziellem Glas (aus Aluminosilikat) gewichen, die Vor- und Rückseite nahezu identisch macht. Eingefasst ist das Gerät in einen Edelstahlrahmen, in den gleichzeitig die Antenne integriert ist. Das Erscheinungsbild des Geräts ist damit deutlich reduzierter und passt nun zu Apples anderen Produkten wie den MacBooks und iMacs. Ob man das Design mag oder nicht, ist Geschmackssache. Apple hat jedenfalls sichergestellt, dass sein iPhone wieder einen höheren Erkennungswert hat, nachdem die Smartphones anderer Hersteller optisch den Vorgänger-iPhones immer ähnlicher wurden. In der Hand fühlt sich die Kombination aus Glas und Edelstahl angenehm kühl und glatt an.

"Death Grip" Light

Besonders viel war in den vergangenen Wochen seit dem US-Marktstart über den sogenannten "Death Grip" berichtet worden. Einige US-Kunden hatten einen Signalverlust bemerkt, wenn das Gerät an einem bestimmten Punkt berührt wird. Die kritische Stelle ist ein kleiner schwarzer Streifen an der linken, unteren Gehäuseseite. Tatsächlich konnte der Verlust der Signalstärke auch im Test nachvollzogen werden. Im T-Mobile-Netz verlor das Gerät einen bis zwei Signalbalken. In Gegenden mit sehr schlechter Mobilfunkversorgung könnte es somit durchaus zu Empfangsproblemen kommen. Allerdings ist dazu zu sagen, dass die kritische Stelle bei normaler Haltung nicht unbedingt verdeckt sein muss. Das ist eher der Fall, wenn man das Handy nicht nur wie die Testerin beim Telefonieren mit drei oder vier Fingern hält, sondern es mit der ganzen Hand umschließt. So gehalten konnte ein Verlust der Signalleistung allerdings auch beim HTC Desire nachvollzogen werden. Kundenberichte, dass es zum völligen Signalverlust bei normaler Haltung kommt, konnten jedenfalls nicht bestätigt werden. Wer sein Handy beim Telefonieren tatsächlich so hält, dass er den Antennenpunkt verdeckt, kann bei Apple eine kostenlose Schutzhülle bestellen.

Leistung

Wie bereits erwähnt hat Apple dem iPhone 4 den 1 GHz starken A4-Prozessor spendiert, der auch im iPad seine Arbeit verrichtet. Zusammen mit den 512 MB Arbeitsspeicher ist das Smartphone damit sehr schnell. Das macht sich etwa beim Öffnen von Websites, beim Scrollen und bei der Performance von Apps bemerkbar. Auch die Kamera löst sehr schnell aus. Die Leistung muss das iPhone 4 auch bringen, denn mit der Unterstützung für Multitasking und dem Bearbeiten von HD-Videos, hat das Gerät einiges mehr an Arbeit zu leisten. Zum schnelleren Surfen trägt auch der WLAN n-Standard bei und bei Telefonaten wird Umgebungslärm dank neuem Mikrophon mit Geräuschunterdrückung besser ausgefiltert. 

Multitasking

Am neuen iPhone läuft iOS4, das zusammen mit dem Gerät im Juni vorgestellt wurde. Wichtigste Neuerung ist die Unterstützung von Multitasking. Damit bleiben auch Apps von Drittanbietern im Hintergrund geöffnet. Durch doppeltes Klicken des Home-Buttons öffnet sich am unteren Rand des Bildschirms eine Leiste, in der alle offenen Programme aufgereiht sind. Durch längeres Halten eines Icons erscheinen kleine Minuszeichen bei jedem Programm, über die die Anwendungen geschlossen werden können. Da nur vier Icons in der Reihe Platz haben, muss man vom rechten Rand nach links wischen, damit die Icons der anderen offenen Apps zum Vorschein kommen. Ein Wischen vom linken Rand nach rechts fördert das iPod-Widget zu Tage, über das man Buttons für Wiedergabe/Pause, Vor- und Zurückspulen aufrufen kann. Damit kann man den iPod steuern, auch wenn man gerade eine andere Anwendung geöffnet hat. Diese Lösung erweist sich in der täglichen Nutzung allerdings als etwas unpraktisch. Ein ständig verfügbares Widget am Lock- und Home-Screen wäre praktischer.

Ordner

Gut gelungen sind die Ordner, in denen man Apps sammeln kann. Es genügt länger auf ein App-Icon zu klicken und es auf ein anderes zu ziehen. Je nach Art der Apps wird ein passender Ordnername vorgeschlagen, beispielsweise "Soziale Netze" für Twitter- und Facebook-Apps. Der Name kann aber auch frei gewählt werden. In einem Ordner haben zwölf Apps Platz. In der Thumbnail-Ansicht der Ordner werden allerdings nur neun Icons angezeigt. Maximal können 180 Ordner können angelegt werden für bis zu 2160 Apps. Diese Grenze dürfte hoch genug angesetzt sein, dass auch Heavy App User mit dem Platz auskommen.

Einfach zu bedienen, aber ...

Sowohl Multitasking als auch die Ordner werden bei älteren iPhone OS-Versionen - etwa am iPad, das erst später das Update erhält - sofort schmerzlich vermisst, wenn man iOS4 einmal ausprobiert hat. Die Einstellungsmöglichkeiten beschränken sich darauf, dass das iPhone zwar sehr einfach und intuitiv zu bedienen bleibt, tiefer gehende Eingriffe und Einblicke aber nicht möglich sind. So ist auch bei iOS4 ein Zugriff auf die Ordnerstruktur, in die Apps Einstellungen und Daten speichern, nicht möglich. Dass Flash nicht unterstützt wird, ist wohl hinlänglich bekannt.

5-Megapixel-Kamera

Pluspunkte gibt es für die Kamera, die nun eine Auflösung von fünf Megapixel und einen LED-Blitz bietet und Fokussieren per Fingertipp bei Foto- und Video-Aufnahmen erlaubt. Wie die beiden Testfotos (siehe links) zeigen, ist die Fotoqualität sowohl bei Tageslicht als auch bei Nacht mit Blitzlicht gut. Auch die Qualität der HD Videos muss den Vergleich mit einem Consumer-Camcorder nicht scheuen. Die Farben sind kräftig und der Fokus per Antippen funktioniert gut, selbst bei Makroaufnahmen. Hinzu kommt, dass man Videos mit der (kostenpflichtigen) iMovie App direkt am iPhone 4 bearbeiten und ins Web hochladen kann. Das größte Manko ist wie bei den meisten Handy-Kameras das Fehlen des optischen Zooms. Auch könnte die iPhone-Kamera einige manuelle Einstellungsmöglichkeiten für Belichtung, Weißabgleich oder ISO vertragen.

Facetime

Von der VGA-Kamera auf der Vorderseite darf man nicht zu viel erwarten. Diese ist vordergründig auch nur für die Videotelefonie via Facetime gedacht, auch wenn man damit ebenfalls normale Fotos aufnehmen kann. Mangels eines zweiten iPhone 4-Testgeräts konnten wir Facetime nicht ausprobieren, doch das Feature wirkt solide umgesetzt. Um Facetime zu nutzen, muss man lediglich den Facetime-Button beim gewünschten Kontakt antippen - ein zusätzliches Setup ist nicht notwendig. Apples Videotelefonate funktionieren allerdings nur über WLAN. Ob die bislang von Nutzern verschmähte Videotelefonie damit abheben wird, ist allerdings zu bezweifeln.  

Akkulaufzeit

Verbesserungen gegenüber dem 3GS will Apple nach eigenen Angaben bei der Akkulaufzeit erreicht haben. Die Sprechdauer gibt Apple mit bis zu sieben Stunden in 3G- und 14 Stunden in 2G-Netzen an. Die Standbydauer soll bis zu 300 Stunden betragen. Bei der Internetnutzung soll das iPhone 4 sechs Stunden über 3G und bis zu zehn Stunden mit WLAN durchhalten. Wer nur Musik hört, soll das Smartphone bis zu 40 Stunden nutzen können, bei Videos sollen es zehn Stunden sein. Solche Angaben sind immer mit Vorsicht zu genießen sind, da die Batterie unter Laborbedingungen getestet wird. Im Test hielt ein volle Akkuladung bei sehr intensiver Nutzung etwas mehr als einen Tag. Intensive Nutzung bedeutet in diesem Fall häufiges Surfen und Abrufen von Social Network-Updates, durchgehend aktiviertes WLAN, längeres Musikhören und Spielen sowie mehrere Foto- und Video-Aufnahmen.

Preisvergleich

In Österreich wird das iPhone 4 aktuell nur von T-Mobile und Orange angeboten. Ohne Vertrag kostet das Smartphone 750 Euro. Bei Orange erhalten Neukunden das Gerät ab 199 Euro bei gleichzeitiger Anmeldung des Tarifs Team 2010 Young um 15 Euro pro Monat und zusätzlich dem iPhone Paket (3GB) um 14 Euro, insgesamt also 29 Euro. T-Mobile bietet das Gerät ebenfalls ab 199 Euro an. Hier müssen Neukunden den Tarif Call & Surf Austria um 39 Euro im Monat (1GB) oder Call & Surf Europe um 49 Euro (2GB) wählen. Die Mindestvertragszeit beträgt bei beiden Anbietern 24 Monate. Bei günstigeren Grundgebühren steigt der Gerätepreis entsprechend.

Fazit

Ist der Hype um das iPhone 4 nun also gerechtfertigt, oder sitzen Käufer einfach nur Apples genialer Marketing-Maschinerie auf? Das neue iPhone beeindruckt vor allem durch das brillante Display und die Leistung. Das Design gefielt der Testerin gut, gehört aber zu den subjektivsten Beurteilungskriterien. Der vielzitierte Death Grip konnte im Test nachvollzogen werden. Zu einem völligen Signalabbruch bei normaler Haltung kam es allerdings nie. Die Usability der Plattform ist sehr hoch und der App Store bietet eine sehr große Auswahl an Anwendungen, die das Gerät erweitern. Tiefergehende Einstellungsmöglichkeiten und Optionen wie sie etwa bei Googles Android-Plattform vorhanden sind sowie Flash-Support für ein wirklich vollständiges Surf-Erlebnis, fehlen auch am iPhone 4. Wem Apples Firmenpolitik unsympathisch ist und das iPhone 4 nicht genug leistet, der findet am Markt zahlreiche attraktive Alternativen. (Birgit Riegler/derStandard.at, 1. August 2010)