Daniel Heller-Roazen, "Der Feind aller. Der Pirat und das Recht" . Aus dem Engl. v. H. Brühmann, € 22,95 / 348 S. Fischer, Frankfurt 2010

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Die Wörter "Pirat" , "Seeräuber" , "Korsar" und "Bukanier" werden in der Regel synonym verwendet, obwohl sich Unterschiede herausarbeiten ließen. Alle vier Wörter sind mit einer Aura des Romantischen, Abenteuerlichen und Heroischen verbunden, die die Fantasie von Schriftstellern seit Jahrhunderten, jene von Filmemachern und Comic-Zeichnern in jüngster Zeit beflügelt haben.

Der amerikanische Literaturwissenschafter Daniel Heller-Roazen beschäftigt sich in seinem Buch mit dem Piraten nicht als ästhetischem Phänomen, sondern als Rechtsfigur. Mit umfassender Kenntnis der Rechtsquellen seit der Antike und mit subtilen Interpretationen gewinnt der Autor dem rechtsgeschichtlichen Thema aufregende Facetten ab.

Abstrahiert man von den historisch-konkreten Piraten die rechtshistorisch relevanten Merkmale, so handeln Piraten in einem Gebiet, in dem Ausnahmeregeln herrschen - zum Beispiel auf hoher See oder im Luftraum. Die Täter reißen durch ihre Taten eine Kluft auf, nicht zwischen Individuen oder Gruppen, sondern einen Graben von absoluter Gegnerschaft, die keine rechtlichen Grenzen oder Verträge kennt, sondern nur Willkür. Drittens heben Piraten die Differenzen zwischen Strafrecht und Politik auf, insofern sie sich selbst nicht als bloße Straftäter verstehen und von ihren Gegnern auch nicht als gewöhnliche Kriminelle betrachtet werden.

Hostis und Inimicus

Viertens stellt sich die Frage, was Piraten - rechtlich betrachtet - sind, wenn sie weder als Kriminelle noch als Kriegführende agieren. Der römische Staatsmann und Rhetor Cicero (106-43 v. Chr.) war einer der Ersten, der sich mit der Rechtsfigur des Piraten beschäftigten. Menschen, so Cicero, sind in allen Lebenslagen eingebunden in moralische und rechtliche Verpflichtungen in ihren Rollen als Väter/Mütter, Eltern, Erben, Hausväter, Bürger. Die moralischen und rechtlichen Verpflichtungen, die das römische Recht im 6. Jahrhundert n. Chr. im "Corpus Iuris Civilis" unter Kaiser Justinian systematisiert hat, stiften unter den Menschen durch "Vernunft und Rede" ("ratio et oratio" ) einen Zusammenhalt der "Gemeinschaft des Menschengeschlechts" .

Für Cicero bleibt eine Gruppe von Menschen aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen: die Piraten - weil sie keine Verträge, kein Recht und keine Eide kennen -, denen gegenüber deshalb auch die Gemeinschaft des Menschengeschlechts keine rechtlichen und moralischen Pflichten haben kann. Piraten sind insofern der "gemeinsame Feind aller" . Im Lateinischen gibt es eine Unterscheidung, die allerdings nicht streng durchgehalten wird: auf der einen Seite der "öffentliche Feind" ("hostis" ), mit dem man Krieg führen kann, auf der anderen der "private Feind" ("inimicus" ), der ein nichtkriegswürdiger Bandit, Rebell oder Pirat ist.

Wer nach welchen Kriterien zum "Feind aller" wird, bleibt bei den antiken Autoren oft unklar. Ganze Völker wie die Illyrer galten zeitweise als "Seeräuber" bzw. "Feinde nicht von einigen, sondern von allen insgemein" - so der Geschichtsschreiber Polybios (200-120 v. Chr.). Das Römische Reich führte - entgegen der begrifflichen Unterscheidung - lange Zeit einen "allgemeinen Krieg" gegen Piraten und ließ sich - entgegen der Doktrin, mit treulosen Vertragsbrechern könne nicht paktiert werden - für den von Piraten gefangenen Caesar auf eine Lösegeldzahlung ein.

Der Feldherr und Politiker Gnaeus Pompeius Magnus erhielt 67 v. Chr. sogar Sondervollmachten ("imperium maius" ) für die Bekämpfung der Piraten. Zum Teil wurden die besiegten Piraten in die römische Flotte integriert. Die Sondervollmachten für den Kampf gegen den "Feind aller" waren der erste Schritt von der Republik zur Diktatur und Monarchie, was eine bis heute bestehende Gefahr bekundet, wenn Einzelne oder Gruppen zu "Feinden aller" und damit zu Rechtlosen erklärt werden, wie es zuletzt den in Guantánamo-Häftlingen geschehen ist.

Eine andere Perversion bilden die seit dem 13. Jahrhundert geläufigen Kaperbriefe. Mit diesen legitimierten Herrscher ihre Flotten oder angeheuerte Piraten zur Plünderung in Friedens- wie in Kriegszeiten. Die Kaperbriefe machten aus Unrecht Recht und waren nichts anderes als "legalisierte Piraterie" (Janice Thomson). Diese wurde erst 1856 durch den Pariser Frieden illegal: "Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft" .

Dass die Rechtsfigur des "gemeinsamen Feindes aller" anhand der Piraten entwickelt wurde, ist kein Zufall. Piraten operieren auf dem Meer, und dieses gehörte nach dem römischen Naturrecht wie die Luft und die wilden Tiere allen. Hugo Grotius begründete die Freiheit der Meere 1609 in einem völkerrechtlichen Traktat. Mit der Fiktion von Schiffen als "schwimmenden Territorien" mit "ambulanter Souveränität" (Baron de Cussy 1856) schuf man eine imaginäre Brücke zwischen dem Besitzer und dem im prinzipiell herrenlosen Meer schwimmenden Schiff.

Kein Freibrief

In der Zeit der Aufklärung wurde die vage Vorstellung von der Gemeinschaft des Menschengeschlechts mit der Einführung des Begriffs "Menschheit" ins Völkerrecht präzisiert. Für Kant bildete die Menschheit "das Vermögen, sich überhaupt einen Zweck zu setzen" , d.h. zu handeln. Jeder Mensch verfügte damit über das Potenzial, Menschlichkeit zu erreichen. Nicht nur die Person, sondern auch die Menschheit selbst wurde damit zur Trägerin von Rechten. Tyrannei konnte fortan als "Verbrechen gegen die Menschheit" bezeichnet und verurteilt werden.

Über die Haager Landkriegsordnung von 1899 und die Londoner Charta für die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse von 1945 ging der Grundsatz ins Völkerrecht ein. Eine Ironie der Geschichte: Der Begriff "Pirat" markierte über Jahrhunderte den "gemeinsamen Feind aller" . Mit der Einfüh-rung des Begriffs "Menschheit" ins Völkerrecht wurde nun jeder Verletzter von Menschlichkeit oder Menschenrechten zum "gemeinsamen Feind aller" .

Das ist kein Freibrief für Präventivkriege, wie Carl Schmitt meinte, oder für ideologische Gesinnungskriege wie den "Krieg gegen den Terrorismus" von G.W. Bush. Für Heller-Roazen markiert der Begriff "Menschheit" im Völkerrecht den Übergang zu einem "neuen Zeitalter" . Der Autor verdeutlicht, dass die Lage damit klarer, aber keineswegs einfacher geworden ist. Einem Staat, der Menschenrechte schwer verletzt, kann jetzt, völkerrechtlich begründet, mit Gewalt entgegengetreten werden. Aber da solche Verstöße permanent drohen, wird das Ziel einer rechtlichen Weltordnung zu einer tendenziell endlosen "Vorbereitung auf den Frieden durch Krieg". (Rudolf Walther/DER STANDARD, Printausgabe, 31.7. /1.8. 2010)