Sandwürmer Rottenberg und Stefan

Foto: Rottenberg

Eigentlich ist Volleyball gar nicht Stephans Sport: „Ich spiele Fußball", erklärt der 15-jährige Schüler, der im orangen Shirt und mit Fahrradhandschuhen auf an der Bande hockt feixend, „und zwar beim SG Wörthersee". Volleyball, fügt sein neben ihm sitzender Freund und Kollege Janno hinzu, sei „eh ganz cool - aber irgendwie trotzdem ..." Der Rest ist wortlos-freundliches Schultezucken - und ginge ohnehin im Röhren unter: „Mein Block! Mein Block! Mein Block!" dröhnt es aus tausenden Kehlen.
Vorne, etwa zehn Meter vor Stephan und Janno haben Felix Gosch und Alex Horst gerade einen Angriff der Neuseeländer Jason Lochhead und Kirk Pitman abgewehrt - und die patriotische Welle reißt auch meine beiden Kollegen von unseren Plastiksitzen am Rand des Klagenfurter Centercourt.

"Ihr habt 30 Sekunden"

Doch während die Masse noch jubelt und die Zipfer-Sand-Gogos auf den Platz hoppsen, winkt uns Bernhard Jochum schon zu: „Los, flotten Schritts aufs Feld - ihr habt 30 Sekunden." Denn während der Timeouts, während die Gogos die Menge anheizen und die Sportler sich besprechen, haben wir unseren Auftritt. Alle paar Minuten, vor aller Augen - aber gänzlich unbeachtet.
Wir - Stephan, Janno und ich - sind Sandwürmer. Oder „Sandflöhe", wie es die Beachvolleyball-Pressedame lieber hört („Wurm klingt negativ"). Oder - offiziell - „Sandleveller": Mit überdimensionalen Croupier-Rechen sollen wir den im Spiel zu Wellen und Dünen aufgeworfenen Sand planieren. In 30 Sekunden - das ist verdammt kurz. Aber obwohl wir schwitzen und die Rechenstiele Blasen machen(darum die Radhandschuhe), würdigt uns - obwohl hier sonst alles vom Platzsprecher zum bejubelbaren Eventelement gepusht wird - niemand eines Blickes. Sandwürmer, Ballkinder, Linien- oder Schiedsrichter gehören zur Kaste der Event-Systemerhalter: man nimmt sie nicht wahr - außer sie machen ihren Job nicht perfekt.

116 Leute, erzählt Joseph Laibacher stolz, stehen während der fünf Tage des Klagenfurter Beachvolleyballturnieres unter seiner Fuchtel: Zahllose Ballkinder, Platzabzieher (also wir) und Scoreborder etwa. Dazu noch 20 Linienrichter, sieben Courtmanager, 21 Schreiber und zwei Fahrradboten, zählt der Klagenfurter auf. „Das Beachvolleyballturnier ist wie eine Droge", erklärt der „Head of Court Crews" und zeigt auf die vollen Ränge: „Das ist eine Woche Fun. Und hier, im Centercourt erlebt man das Spektakel noch intensiver als auf der Tribüne - das ist ein Hexenkessel. Auch wenn es heute keine 40 Grad hat." Und bekommt Unterstützung von der auf der Tribüne sitzenden Beachvolleyballlegende Nik Berger: „Da unten kriegst du alles mit. Manche Spieler macht der Trubel fertig - mich hat er aber immer beflügelt."

Tatsächlich schwappen Adrenalin, Euphorie und Emotionen in körperlich fast spürbaren Wellen von den Rängen hinunter in die Arena: Das Hexenkesselfeeling ist die Kunst - und auch die Gefahr - des Eventdesigns. Und um diese Energie zu spüren, kommt Joseph Laibacher schon seit neun Jahren immer wieder. Aber, betont er, auch „aus Liebe zum Volleyball".
Denn auch abseits des längst gigantomanische Ausmaße (125.000 Besucher kamen im 2009, ViP-Tickets kosten zwischen 1600 und 2200 Euro - plus Mehrwertsteuer, die Sponsor- und Sideevents dominieren ganz Wörtherseeland und über 400 Medienvertreter sorgen dafür, dass der Event samt Sponsorlogos nirgendwo übersehen wird) habenden Turniers, das Österreichs Event-Guru Hannes Jagerhofer vor 15 Jahren erfand, ist Laibacher Volleyballer. In der Halle: er ist Obmann der „Sparkasse Wildcats Klagenfurt" - der zweitbesten Damenmannschaft Österreichs. „Aber das weiß hier kaum jemand."

Ein bisserl Wehmut

Doch während vorne, an der Bande, die Sponsorlogos wechseln, gebrandete Goodies wie Trophäen gesammelt werden und die Werbeflächengrenze zwischen Dressen und Körper fließend verläuft, kann sich der Hallen-Obmann einen bisserl Wehmut nicht verkneifen: „Wir wären froh, wenn wir einen Bruchteil dieser Aufmerksamkeit hätten." Aber „der große Hype ist eben das Spiel im Sand. Auch, weil es es sich medial besser inszenieren lässt - und weniger oft stattfindet." 

Vorne, am Netz, tun Gosch und Horst so, als würde der Sand die Erdanziehungskraft außer Kraft setzen. Block - Annahme - Aufspiel - Angriff - Punkt. Zehntausend Zuseher toben und machen die Welle. Auch Laibacher. „ Was für Sportler!" Dann lächelt er fast melancholisch: „Böse Zungen behaupten, dass viele Zuseher hier auch jede andere Sportart so feiern würden."
Aber zum Nachdenken bleibt keine Zeit: Die Musik wummert, dass der Sand vibriert. Die Bier-Gogos laufen auf den Platz. Courtmanager Bernhard Jochum zeigt auf Stephan, Janno und mich: „Ihr habt 30 Sekunden!" (Thomas Rottenberg, DER STANDARD Printausgabe, 31.7.2010)