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Über MuslimInnen wird in der Doku viel gesprochen, mit ihnen weniger.

Foto: APA/AP/Daniel Maurer

Ein tiefer Graben trennt sie und keine/r ist bereit, den zu überspringen. Das machte die ARD-Dokumentation "Kampf im Klassenzimmer" von Nicola Graef und Güner Balci bereits nach wenigen Minuten klar. Auf der einen Seite: Die MigrantInnenkinder, KurdInnen, TürkInnen, LibanesInnen, allesamt muslimischen Glaubens. Sie stellen 70 Prozent der SchülerInnen an der Essener Hauptschule, Schauplatz der Reportage, die heute Nacht im Ersten Premiere hatte.

Auf der anderen Seite: Die deutschstämmigen Jugendlichen, die sich in der Bredouille fühlen. Die MigrantInnenkids schlagen und mobben sie. Ihnen bleibe nur mehr der Rückzug, sie dürfen nicht mehr sagen, was sie denken. Wie ein Befreiungsschlag wirkt so die Ansprache eines deutschen Schülers vor der Kamera, in der er die deutsche Minderheit als Unterdrückte beschreibt.

Dass er das tatsächlich so fühlt, ist die eine Sache, die andere, dass die Filmemacherinnen immer nur an diesem Punkt ansetzen. Alle Fragen, alle Antworten zum Thema finden Platz. Die Mauer aus defensiven Worthülsen der migrantischen Jugendlichen kratzen die Sendungsmacherinnen zwar an, haken aber nicht weiter nach.

Viel mehr steht auf ihrer Agenda: Zu zeigen, wie der Unterdrückungmechanismus, angefeuert durch den Islam, funktioniert. Muslimische Jungs werden von ihrer Familie unterdrückt, damit sie lernen, wie das geht, um ihre Schwestern oder künftigen Frauen ebenfalls zu unterdrücken. Die Mädchen fügen sich dem traditionellen Erziehungsauftrag und lassen ihre Frustration an andersgläubigen Mädchen aus, in der Überzeugung, dass diese schmutzig, und sie selbst rein sind.

Dass deutsche Mädchen an letzter Stelle der Hierarchie stehen, arbeiten die Filmemacherinnen betont heraus: Als Schlampen haben sie keinen Respekt verdient. Sie schlafen mit Jungs, auch mit muslimischen. Ein junger Wortführer, der sich als Muslim und Kurde identifiziert und rebellisch in die Kamera wirft, dass er an Deutschland das Bildungssystem schätzt und sonst nichts, redet sich um Kopf und Kragen, wenn er den niederen Status der deutschen Mädchen skizziert und dabei erkennen lässt, dass sich sein Bild ebenso aus medialen Matrizen und vorurteilsüberformten Meinungselementen zusammensetzt. Auf den Einwurf, dass muslimische Jungs eigentlich auch nicht Sex vor der Ehe haben dürfen, meint er nur, ein Mann könne keine Schlampe sein.

Wie eine sichtlich überforderte Lehrerin betont: Kaum eine/r der migrantischen Kids kenne Deutsche näher. Dass das umgekehrt ebenso zutrifft, wird in der Doku aber ausgelassen. Im Gegenteil stellt sich heraus, dass die Filmemacherinnen das Hörensagen des Lehrkörpers und einzelne erlebte Geschichten als Maßstab für die Gruppe der MuslimInnen stehen lassen.

Zuletzt bleibt der Eindruck eines desolaten und verächtlichen Nebeneinanders beider Gruppen. Massive Vorurteile auf beiden Seiten, die Jugendlichen deren KriegerInnen an einem Ort, an dem sie aufeinander treffen müssen. Übrig bleiben Verletzte. Niemand kommt da als GewinnerIn heraus. (bto/dieStandard.at, 22.7.2010)