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Fini (li.) gegen Berlusconi: Die Stimmung in Italiens Regierungspartei ist auf dem Nullpunkt.

Foto: Reuters/Remo Casilli

Das von ihm gewünschte "Maulkorbgesetz" , das richterliche Lauschangriffe und den Abdruck von Telefonmitschnitten drastisch einschränken sollte, wollte Silvio Berlusconi um jeden Preis noch vor der Sommerpause durchs Parlament bringen. Jetzt hat der Premier das Interesse daran plötzlich verloren.

Die Entschärfung des umstrittenen Textes durch den Justizausschuss der Kammer wertete der Regierungschef als parlamentarischen Hinterhalt: "Die Lage bleibt praktisch unverändert, die Italiener können sich auch in Zukunft nicht frei am Telefon unterhalten" , machte der Cavaliere seinem Ärger Luft. "In Italien liegt die Souveränität nicht beim Volk, sondern bei den linken Staatsanwälten. Unsere Verfassung verhindert die Demokratisierung des Landes." Mit der öffentlichen Unmutsäußerung stellte Berlusconi seinen Justizminister Angelino Alfano bloß, der in zähen Verhandlungen versucht hatte, einen Bruch mit dem Parteiflügel um Gianfranco Fini zu verhindern und den Einwänden des Staatspräsidenten Rechnung zu tragen.

So können Zeitungen in Zukunft wichtige Prozessakten und Abhörprotokolle, die nicht dem Untersuchungsgeheimnis unterliegen, nun doch publizieren. Richter, Staatsanwälte und Prozessparteien müssen sich in einer Art Vorverhandlung darauf einigen, welche Ermittlungsakten zum Schutz der Privatsphäre geheim bleiben sollen. Das gilt vor allem für jene Telefonmitschnitte, die rein privaten Charakter und mit der Anklage nichts zu tun haben. Fini äußerte Genugtuung über den ausgehandelten Kompromiss: "Die Vernunft hat gesiegt." Der Richterbund sah in der Änderung ein "positives Signal" .

Während die Christdemokraten dem Text nun zustimmen wollen, hält der Partito Democratico an seiner ablehnenden Haltung fest: "Ganz sicher ein positiver Schritt, doch das Gesetz bleibt auch in dieser Form unannehmbar" , so Parteichef Pierluigi Bersani.

Politische Eigentore

Die Debatte über den Text, gegen den Journalisten und Verleger seit Wochen Sturm laufen, hätte am 29. Juli in der Kammer beginnen sollen. Nach Berlusconis Stellungnahme scheint der Termin fraglich. Dass der Cavaliere den mit Fini erreichten Kompromiss als inopportun kritisierte, löste in der gemeinsamen Partei "Volk der Freiheit" Irritation aus. Das Verhalten des Premiers gibt selbst seinen engen Mitarbeitern immer mehr Rätsel auf. Als politisches Eigentor werten sie Berlusconis Versuch, in Skandale verwickelte Parteifreunde wie den zuletzt wegen Camorra-Kontakten zurückgetretenen Staatssekretär Cosentino bis zum letzten Augenblick zu halten. Am Freitag lehnte die Popolo-della-Libertà-Mehrheit im Senat erneut einen Antrag der Staatsanwälte auf Verhaftung eines Parlamentariers ab: der kampanische Senator Vincenzo Nespoli wird der Zusammenarbeit mit der Camorra beschuldigt. Das Vertrauen der Bürger in die Regierung ist indessen auf einen neuen Tiefpunkt von 39 Prozent gefallen. Nur noch 31 Prozent würden bei Neuwahlen für das "Volk der Freiheit" stimmen.  (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2010)