Warum der auf das Zahlenmaterial einer Vermögensstudie der Nationalbank gestützte Vorwurf, die Nichtbesteuerung von Immobilienerbschaften bewirke einen "doppelten Artenschutz" für "die Reichen", der Realität nicht standhält.

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Im STANDARD vom 30. 6. 2010 wird unter Berufung auf eine Studie der Nationalbank unter anderem berichtet, dass Erben von Häusern und Wohnungen unter "doppeltem Artenschutz" stehen würden, 80 Prozent der Haushalte hätten keine Immobilien geerbt, und unter denjenigen, die erben würden, würden die obersten 10 Prozent genau so viel erben wie die restlichen 90 Prozent gemeinsam.

Im Artikel heißt es weiters, dass eine Erbschaftssteuer, wie von der Arbeiterkammer vorgeschlagen, mit einem Freibetrag von 300.000 Euro, 94 Prozent aller Haushalte nicht treffen würde, womit suggeriert wird, dass eine etwaige Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer nur die "Reichen" trifft. Gerne wird heute vergessen, dass es sich bei der ehemaligen Erbschafts- und Schenkungssteuer (auch bei Immobilienerwerb) schlicht um eine Doppelbesteuerung gehandelt hat, weil bereits versteuertes Einkommen abermals besteuert wurde, ohne neuerlich Ertrag abzuwerfen. In diesem Lichte wirkt die Wortschöpfung "doppelter Artenschutz" wohl fast schon ironisch.

Umfrage im Widerspruch ...

Was die Verteilungswirkung betrifft, zeigen die harten Zahlen der Erbschaftssteuer-Statistik des Jahres 2007 (dem letzten Jahr, in dem eine solche Steuer erhoben wurde) jedenfalls ein ganz anderes Bild: Im Jahr 2007 gab es insgesamt 67.853 Erbschaftsfälle. Setzt man das in Beziehung zu rund 2,9 Mio. Wohnungen im privaten Besitz (Stand 2001) in Österreich, ist klar, dass der überwiegende Teil der Haushalte noch keine Immobilien geerbt hat, weil jedes Jahr nur ein minimaler Teil des Immobilienbestandes durch Erbschaften übertragen wird. Insofern ist die Aussage, dass "80 Prozent der Haushalte" keine Immobilien geerbt hätten, nichtssagend, weil nicht klar ist, ob in diesen Fällen bisher überhaupt ein Todesfall eines potenziellen Erblassers aufgetreten ist.

Die Behauptung, dass die "obersten 10 Prozent" genauso viel erben würden wie die restlichen 90 Prozent gemeinsam, lässt sich bei einem Blick auf die Erbschaftssteuerstatistik ebenfalls nicht aufrecht erhalten. So waren von den 67.853 Erbfällen des Jahres 2007 25.373 Immobilienfälle, bei denen die Bemessungsgrundlage unter 7.300 Euro lag. Oberhalb einer Wertgrenze von 219.000 Euro gab es hingegen insgesamt (Immobilien- und sonstige Erbschaften) nur 487 Fälle. Es zeigt sich also ganz klar, dass die große Zahl der Erbschaften und Schenkungen nicht bei den "obersten 10 Prozent" anfällt, sondern in Bereichen mit niedrigeren Wertgrenzen. Darüber kann auch eine Umfrage der Nationalbank mit einem kreativen Sample von 2.000 Befragten nicht hinwegtäuschen.

Klar ist auch, dass ein Steuersystem, das einen Freibetrag von 300.000 Euro bei Erbschaften vorsieht, nur für ein paar hundert Fälle pro Jahr eine Steuerpflicht bedeuten und somit de facto keine Erträge für das Budget bringen würde. Schon die alte Erbschaftssteuer mit einer Freigrenze von 7.300 (die nicht für das Grunderwerbssteueräquivalent bei Erbschaften von Immobilien galt), brachte für das Budget nur 130 Millionen Euro.

... zu sämtlichen Statistiken

Es stellt sich die Frage, wie die Autoren der Umfrage zu Ergebnissen kommen, die sämtlichen Statistiken widersprechen. Bei OeNB-Experten Martin Schürz, der fast im Alleingang sämtliche Vermögensstudien Österreichs erstellt, drängt sich der Verdacht jedenfalls auf, nicht ganz ideologiefrei zu werken.

So tritt Schütz in öffentlichen Publikationen unter anderem für die Abschaffung von Konzernen ein. In einem Artikel vertritt er die Auffassung, dass Manager moderne Bankräuber seien, nur ohne MG. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf Ö1 vertrat Schürz die Auffassung, dass reiche Menschen einer Gesellschaft Gesundheitsprobleme bringen würden. Und im Rahmen einer anderen Podiumsdiskussion mit Presse-Wirtschaftsressortleiter Franz Schellhorn vertrat Schürz die Auffassung, dass die Erbschaftssteuer bei 100 Prozent liegen müsste, also beim Tod einer Person deren gesamtes Vermögen verstaatlicht werden müsste. Auch das sollten die Leser seiner Vermögensstudien wissen.

Solche Ansichten mögen zwar politisch legitim sein, sollten aber nicht die Objektivität von Nationalbankstudien in einer politisch brisanten Debatte über Steuererhöhungen trüben. (Clemens Wallner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.7.2010)