Dass das Zungenbändchen Schuld ist am schmerzhaften Stillen, daran denken wenige

Foto: Pietschnig

Gainesville/Wien/Innsbruck - Wenn Babys Probleme haben, an der Mutterbrust zu trinken, kann die Ursache dafür auch ein verkürztes Zungenbändchen sein. Das erklärt Beate Pietschnig, Vorsitzende der österreichischen Stillkommission des Obersten Sanitätsrates, im pressetext-Interview. "Säuglinge werden dadurch gehindert, die Zunge über die Unterkieferleiste herauszustrecken, weshalb sie Brustwarze und Warzenhof nicht voll fassen können. Das Problem ist meist leicht und unproblematisch zu behandeln, wird jedoch oft nicht erkannt", so die Expertin.

Kampf mit der Mutterbrust

Zwischen Zunge und Mundboden verläuft ein dünnes Häutchen, das sogenannte Zungenbändchen (Frenulum). Dieses blut- und nervenarme Gewebe ist bei rund vier Prozent der Neugeborenen verkürzt. Etwa jedes vierte der betroffenen Stillkinder schafft es in Folge nicht, die Muttermilch mit der Zunge in massierenden Bewegungen aus der Brust herauszudrücken. "Bei der Mutter kann dies zu Schmerzen beim Stillen und wunden Brustwarzen führen und löst oft einen Teufelskreis aus, der im frühen Zufüttern und oft im Abstillen endet", warnt Pietschnig.

Bereitet das Stillen der Mutter Schmerzen und damit Angst, drosselt das die Ausschüttung der zum Stillen nötigen Hormone und somit auch die Milchproduktion. Die Kinder werden unruhig und unzufrieden, trinken öfter und länger und können schlechter an Gewicht zunehmen. Das hinterlegt eine Fallstudie der Universität Florida http://www.ufl.edu in der Zeitschrift "Pediatrics". Ein sechsmonatiges, voll gestilltes Baby wurde ins Spital eingeliefert, da es weniger als bei der Geburt wog. Nach der Behandlung des verkürzten Zungenbändchens und einer Stillberatung legte es ordentlich an Gewicht zu und entwickelte sich wieder normal.

Ein Schnipp lässt wieder trinken

"Die Behandlung selbst ist unproblematisch", betont Pietschnig. In Sekunden löst der Arzt mit Skalpell oder Schere das verkürzte Bändchen. Oft haben die Eltern Angst vor dem Eingriff, das Kind empfindet dabei jedoch keinen Schmerz und muss nur kurz festgehalten werden. Beim jungen Säugling - etwa bis zum vierten Monat - ist keine Narkose nötig, später ist eine Kurznarkose jedoch ratsam. Ein Fall für den Kinderchirurgen ist auch ein sehr dickes oder stark durchblutetes Bändchen. "Die Heilung im Mundbereich ist ausgezeichnet und die Störung meist gleich behoben. Die Babys können sofort angelegt werden und trinken meist, ohne der Mutter Schmerzen zu bereiten", berichtet die Expertin.

Auf frühe Diagnose und Behandlung drängt auch die Innsbrucker Logopädin Mathilde Furtenbach, die ein ganzes Buch zum Zungenbändchen geschrieben hat. Die Folgen einer übersehenen Verkürzung reichen weit über die Stillzeit hinaus und sogar bis ins Erwachsenenalter. "Sie schränkt die Zungenbewegung beim Saugen, Kauen und Schlucken ein und kann damit langfristig die Zahn- und Kieferstellung oder die Knochen verändern", so Furtenbach gegenüber pressetext. Außerdem kann es zu Sprechproblemen bei Lauten wie sch, s, d, t, l und n kommen, da die Zunge nicht den vollen Artikulationsraum erreicht.

Problem wird oft erst spät erkannt

Noch immer ist das verkürzte Zungenbändchen jedoch ein Exotenthema. Kinderärzte sehen es oft nicht als Problem an, da sie die Auswirkungen nicht in vollem Umfang wahrnehmen, argumentieren mit dem Problem Vertraute. In der Neugeborenen-Untersuchung im Spital ist der Blick unter die Zunge nicht vorgeschrieben, und selbst Zahn- und Kieferorthopäden fühlen sich oft für Neugeborene nicht zuständig. "Sensibilität gibt es am ehesten seitens der Stillberaterinnen, da sie mit den unmittelbaren Folgen konfrontiert sind", so Furtenbach. (pte)