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Kampfschwimmen und Kampflesen: Beim Bachmannpreis in Klagenfurt gibt es jedes Jahr ein straffes Programm.

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Über den Bachmannpreis existieren ähnlich viele Vorurteile, Gerüchte, Ressentiments, ja unverhohlen hasserfülltes Geraune, bei gleichzeitiger und totaler Unkenntnis, was da eigentlich so abläuft, wie beim Eurovision Song Contest, mit dem Unterschied, dass wohl die wenigsten Menschen bereit sind, tagsüber und sommers in der stickigen Stube zu sitzen und sich mehrere Tage klorollenlange, leiernde Lesungen mit daran anschließendem, vermeintlich knasterbärtigem Auseinanderpflücken des eben Gehörten durch eine lichtscheue Jury anzuhören, als, wie im Falle des Song Contest, nur einen Samstagabend Aufmerksamkeit zu investieren. Die Bachmannsiegerin von 2006, Kathrin Passig, schrieb über den Wettbewerb: "Die Tage der deutschsprachigen Literatur (wie das Kampflesen offiziell heißt) sind nicht dazu da, dem Zuschauer Kauf- und Leseempfehlungen an die Hand zu geben. Sie dienen der Verständigung über das, was wir von Texten, Autoren und Kritiken erwarten. Diese fehleranfällige, alberne, tapfere, manchmal fruchtbare und regelmäßige Auseinandersetzung mit Texten ist die beste Literaturkritik, die wir haben."

Beiden Veranstaltungen haftet auch etwas Solipsistisches an, da wie dort wird etwas für einen Wettbewerb gebaut, das in den seltensten Fällen "da draußen" Überlebenschancen hat, und wenn mal etwas preislos bleibt, kann es passieren, dass es außerhalb des Zirkus danach gewaltig durchstartet (Rainald Goetz, gelesen 1983, kein Preis, heute: Suhrkampklassiker. "Volare" , gesungen beim Songcontest 1959 von Domenico Modugno, nur Dritter geworden, danach: Welthit). Regel indes ist, dass Klagenfurt schon der Gipfel der Aufmerksamkeit und des Ruhmes für einen siegenden Autor war, Beispiel Urs Allemann (Babyficker) und Franzobel.

Beide Veranstaltungen bestehen aus einem lustvoll zelebrierten, starren Ablauf, wozu im Vorfeld ein Bekanntmachen der Interpreten gehört, ein kleines biografisches Porträt, und da ist bei den Autoren ein Kokettieren mit artfremden Tätigkeiten zu beobachten: Volker Altwasser arbeitete als Elektronikfacharbeiter, als Heizer und Matrose, Peter Wawerzinek (geboren als Peter Runkel) als Totengräber und Tischler, Kevin Vennemann (gelesen 2006) hat "in Köln, Innsbruck und New York als Totengräber, Fließbandarbeiter, Kellner, Aushilfslehrer für Deutsch und Englisch sowie als Hotelportier" gearbeitet.

Die Beliebtheit des Totengrabens und Leichenwaschens scheint unter Autoren etwas Irisierendes zu haben, Roger Graf, der schon als Leichenwäscher, Baumwollpflücker, Landstreicher und Mittelgewichtsboxer gearbeitet hat, überbietet Vennemann allerdings locker. Douglas Adams hat Hühnerställe ausgemistet, war Leibwächter bei einem Emir und Gitarrist bei Pink Floyd. Bukowski war Leichenwäscher, Werbetexter, Nachtportier, Sportreporter, Hafenarbeiter, Zuhälter, Briefsortierer und Tankwart. Frank-Wolf Matthies (gelesen 1981) war Fernsprechhelfer, Schwimmhallenmaschinist, Kellner, Taxifahrer, Leichenwäscher, Kameraassistent und Grabenzieher. Feridun Zaimoglu (gelesen 2003) hatte ebenfalls den Bogen raus: "Ich arbeitete als Schlachter bei Nordfleisch, ich fuhr frühmorgens Brötchen aus, ich spülte Pfannen und Töpfe in einem sehr noblen Hotel oder ließ mich als Landvermesser einstellen." Interessant, dass sich nur männliche Autoren bemüßigt fühlen sich mit solch biografischen Zierleisten zu schmücken. Beim Song Contest hingegen findet man eher weniger singende Leichenwäscher, und das ist vielleicht auch gut so.

Ein zweifellos weit unappetitlicherer Aspekt des Bachmannkampflesens sind nicht sinistre berufliche Werdegänge, sondern die filmischen Porträts, die dem Lesegeknatter vorangestellt werden, hier herrscht eine altbackene Ästhetik vor, die einen bass erstaunen lässt, dass das visuelle Ästhetikempfinden der Autoren so schwach nur ausgeprägt ist, dass sie das mit sich machen lassen, Klischees direkt aus der Schnittbildhölle, beschriebene Seiten werden zerknüllt und/oder weggeworfen und/oder vom Wind davongeweht, Saxofonmusik, Rolltreppen, Rollbänder, Aufzüge, Großaufnahmen gehender Füße, Spiegel, Spiegelungen, zerbrochene Spiegel, Brillengläser etc., man beneidet sich nicht gerade selbst, so etwas ansehen zu müssen.

Die eigentliche Zusammenkunft macht dann diese kurzen Qualen aber wieder wett, ein erhitztes Pfadfinderlager, weitestgehend vom eigentlichen Klagenfurt ignoriert, alle Verlage schicken Abordnungen, Lektoren, Agenten, Parlamentäre, allesamt Sendboten aus dem All, um hochkonzentriert einem Ritual beizuwohnen mit eigenen okkulten Regeln und Gesetzen. Wenn Archäologen dermaleinst hier graben werden, werden sie vermutlich das finden, was man in den Gebirgshöhlen von Bajan-Kara-Ula gefunden hat, dort, an der Grenze zwischen China und Tibet liegt ein unzugängliches Gebirgsland, das etwa so groß wie Kärnten und eine der einsamsten Regionen Chinas ist. 1937 fand ein chinesischer Archäologe in einigen Felshöhlen exakt ausgerichtete Gräber. In ihnen Skelette von genau 1,30 Metern Größe. Die Skelette sind sehr zierlich, mit besonders dünnen Knochen und mit extrem großen Köpfen im Vergleich zum eigentlichen Körper. Folgt man den uralten chinesischen Sagen, dann sollen vor ca. 12.000 Jahren sehr kleine und dünne gelbe Menschenwesen aus den Wolken herabgestiegen sein. Aufgrund ihres hässlichen Aussehens sind sie von den Menschen aus der Region gemieden worden und von ihnen sogar auf schnellen Rössern gejagt worden. Die schnellen Rösser, das ist logischerweise das jährliche Golf-GTI-Treffen am Wörthersee, das naturgemäß um ein Vielfaches populärer ist als die Literatursause.

Free Ernst Grandits

Ein schöne Bereicherung des Wettkampfes sind die angereisten Literaturhooligans, es gibt eine Gruppe, die sich Free Ernst Grandits nennt, benannt nach dem soignierten, immer etwas verstrahlt wirkenden Diskussionsleiter früherer Jahre, den man sich offenbar zurückwünscht. Es gibt ein Bachmannwettschwimmen im Wörthersee, organisiert von einer anderen Gruppe, die behauptet, die Literatur sei nur das Begleitprogramm ihres Schwimmens, es wird das Fußballspiel gespielt, Autoren gegen ORF-Techniker, bei dem in schöner Regelmäßigkeit die Techniker gewinnen, es gibt sogar einen Sonderpreis eines Weblogs namens Riesenmaschine, das sich bei den Textbergwerken wühlmausartig ins Detail gräbt und Klischees, Parataxenstakkatos oder Sätze wie "Da kommt Franz, der, wie du weißt, dein Vater ist" ahndet und deren Vermeidung belohnt, Pluspunkte gibt es etwa für das Vorkommen von feuchten Frotteetüchern, miefigen Sporttaschen oder von Nagetieren.

Und dann gibt es natürlich auch noch das eigentliche Lesen. Und das war in diesem Jahr seltsam temperamentlos matt, fast normal, sodass man auch bei der Jury unter Vorsitz des charismatischen Burkhard Spinnen, dessen Spinnenhaftigkeit die beste ist, die man bekommen kann, lauern und zuschlagen, seltsam zahnlos war, gut Spinnen haben keine Zähne, die Reibungshitze vergangener Jahre vermisste, sie war verpufft, einzig Juror Hubert Winkels ließ dann und wann Eigenständigkeit und Originalität im Urteil erkennen, bewies Mut zum Zausen, Karin Fleischanderl hingegen wurde zu oft schnippisch, wo man nicht schnippisch hätte werden brauchen, aber auch das blies den Wind nicht in die Glut.

Bei den Autoren waren natürlich alle gespannt auf die Vorarlbergerin Verena Rossbacher, sie wurde in Wettbörsen als Favoritin gehandelt, von ihr ging die Aura einer Melusine aus, ihr Vortrag erinnerte dann jedoch, wie Jurorin Meike Feßmann zu Recht anmerkte, an den Krach einer Vuvuzela, es half nichts, dass sich die Autorin gebärdete, als sei sie Nadine Hurley, die Irre mit der Augenklappe aus David Lynchs Twin Peaks, die zwar die total geräuschlose Gardinenschiene entwickelt hat, aber sich gebärdete als wolle sie ihre Hörer und Leser hypnotisieren und dann aufessen.

Sie zerstörte durch die Art ihres Vortrags ihren eigenen Text, immerhin kam ein Romanesco vor, dieser stinkende Kohl, der zu den wenigen Pflanzen gehört, die in ihrem Blütenstand gleichzeitig Selbstähnlichkeit und damit eine fraktale Struktur sowie Fibonacci-Spiralen aufweisen. Dafür einen Pluspunkt von der Jury der Riesenmaschine. Ansonsten ging Rossbacher leer aus. Den Bachmannpreis gewann, wie bekannt, Peter Wawerzenik, der Totengräber, mit einem soliden wie erschütternden Text über eine Kindheit in ostdeutschen Weisenhäusern. Nächstes Jahr wird dann wieder gegraben, gewaschen, geschwommen, gelesen und in einigen Fällen sogar gewonnen. (Tex Rubinowitz, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 03./04.07.2010)