Neun nationale Minderheiten, darunter Deutsche, Kroaten, Serben und Roma: Pécs (dt. Fünfkirchen) gibt viel auf seine Multikulturalität. "Als Ungar bin ich genauso stolz auf die Kulturleistungen der Deutschen, der Kroaten, der Roma aus dieser Stadt", erklärte unlängst Tamás Szalay, künstlerischer Leiter des Pécser Kulturhauptstadtjahres.

Schöne Worte und der Anspruch, der Multikulturalität städtebaulichen und kulturellen Ausdruck zu verleihen, floss in die Bewerbungen der südungarischen Stadt um die Kulturhauptstadtwürde ein. Tatsächlich gab es für die Roma, die stärkste Minderheit, schon im ersten Halbjahr umfassende Möglichkeiten der kulturellen Selbstdarstellung. Auftakt bildete im April das Landestreffen der Roma-Dichter und -Schriftsteller, im Juni folgte das vielbeachtete fünftägige Roma-Theaterfestival Bunte Kavalkade, organisiert vom Roma-Kulturverein Színes Gyöngyök (Farbperlen), mit Lesungen, Tanzvorführungen und einem Konzert mit dem Ensemble Parno Graszt (Weißes Pferd), das sich authentischer Roma-Folklore verschrieben hat. "Als schönen Erfolg" verbuchte es István Kosztics, der Vorsitzende der Pécser Roma-Selbstverwaltung. Wermutstropfen sei, dass diese Programme der Roma, aber auch der Deutschen für die Pécser Präsentationen in den Ko-Hauptstädten nicht berücksichtigt wurden. Blickt man auf das Budget, wundert man sich ohnehin, mit wie wenig Geld die Nationalitäten ausgestattet wurden. An den Programmausgaben von 8 Milliarden Forint (rund 30 Millionen Euro) partizipieren sie gerade einmal mit 50 Millionen Forint, 20 Millionen Forint davon gehen an Roma-Programme.

Dabei entfallen die meisten Kosten für das Kulturhauptstadtjahr gar nicht auf Programme, sondern mit rund 120 Millionen Euro auf die enormen Ausgaben für die Stadtrenovierung. Ganze Innenstadtviertel, etwa die heruntergekommene ehemalige Porzellanfabrik Zsolnay, werden zu modernen Künstler- und Studentenvierteln umfunktioniert. Diese City-Verhübschung sei eine Gefahr für die in den alten Innenstadtmietskasernen lebenden meist arbeitslosen Roma, befürchtet der Soziologe János Zolnay von der Stiftung für vergleichende europäische Minderheitenforschung (EÖKIK) in Budapest: "Sie werden verdrängt und in die überfüllten Ghettos am Stadtrand abgeschoben". Bisher sei Pécs "humaner" als andere ungarische Städte wie Miskolc oder Debrecen, wo die sozial schwachen Roma schon gnadenlos aus den Innenstädten vergrault wurden.

Die ambitiösen Kulturhauptstadtprojekte würden zu steigenden Immobilienpreisen führen und könnten damit diesen Prozess auch in Pécs in Gang setzen. "Dass es bis jetzt noch nicht so weit kam, hängt eher damit zusammen, dass diese Projekte weit hinter dem Zeitplan nachhinken und zu keinem Abschluss zu kommen scheinen", konstatiert Zolnay. (Gregor Mayer aus Budapest/ DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2010)