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Die Tageszeitung Le Monde gilt als ein Leitmedium für Frankreichs linksliberale Intelligenz.

Foto: Reuters/Wojazerlemo

Was bleibt dem Pariser Bürger zu tun, wenn er mittags gut gegessen hat? Er setzt sich ins Café und liest Le Monde. Gegen 13 Uhr druckfrisch in der französischen Kapitale verteilt, ist das linksliberale Blatt heute fester Bestandteil Frankreichs, mit einer täglichen Auflage von 400.000 Stück. Doch Le Monde schreibt rote Zahlen. Ihr Schuldenberg ist 2009 um weitere 25 Millionen Euro angewachsen.

Dies erzwingt das Ende eines Modells, das die französische Zeitungslandschaft jahrzehntelang geprägt hatte: Die Le Monde-Journalisten, denen die Zeitung seit ihrer Gründung 1944 gehörte, verlieren die Kapitalmehrheit. An Investoren mangelt es aber nicht.

Am Montag machte allerdings nicht der chancenreichste Kandidat Claude Perdriel das Rennen. Der Gründer des Wochenmagazins Le Nouvel Observateur bot zwar an die 100 Millionen und wurde bereits als "natürlicher" Übernehmer bezeichnet.

Jedoch nur so lange, bis sich der Staatspräsident auf seine Seite schlug. Nicolas Sarkozy lud Le Monde-Chefredaktor Eric Fottorino ins Elysée vor und legte ihm dar, warum Perdriel der beste Kandidat sei. Offenbar drohte er Fottorino sogar mit dem Rückzug einer kleinen Beteiligung durch die staatliche Depositenkasse.

Fottorino, der sich eher durch eine feine Feder als breite Schultern auszeichnet, habe das Elysée "groggy" verlassen, meinten Augenzeugen.

Andernorts gab es wütende Redaktionen: Es gehe nicht an, dass sich die Regierung in die Belange einer Zeitung einmische, lautete der Tenor in den französischen Medien und vor allem bei den Le Monde-Journalisten: Am vergangenen Freitag stimmten sie aus lauter Trotz für das Angebot des Bankers Matthieu Pigasse und des Internet-Entrepreneurs Xavier Niel, sowie von Pierre Berge, Lebenspartner des verstorbenenModeschöpfers Yves Saint-Laurent. Am gestrigen Montag stimmte auch der Aufsichtsrat zu.

Dabei wollte Sarkozy Bergé, Pigasse und Niel unbedingt verhindern. Diese unterhalten nämlich enge Beziehungen zu Dominique Strauss-Kahn, der als sozialistischer Kandidat für die Präsidentenwahl 2012 gehandelt wird. Die Redaktion von Le Monde ist nun jedoch aufgebrachter denn je gegen Sarkozy und wird keinen Anlass mehr sehen, ihre politische Nähe zu Strauss-Kahn zu verbergen.

Seit Jahren müht Sarkozy sich - nicht unerfolgreich -, die staatlichen Medien zu kontrollieren. Darum meinte er wohl, mit einer hochverschuldeten Zeitung kurzen Prozess machen zu können. Frankreichs Blätter galten noch nie als sehr standfest gegenüber der jeweiligen Staatsführung.

Selbst Le Monde ist ein Kind der Politik: Frankreichs Präsident Charles de Gaulle hatte 1944 persönlich gewünscht, dass Frankreich eine internationale Stimme in Form eines seriösen Weltblattes erhalte. Im Gegenzug handelten sich die Journalisten ihre finanzielle Unabhängigkeit aus.

Seit damals war die Zeitung politisch unangreifbar, doch nun verliert die Redaktion die Aktienmehrheit. Ihr Sieg über Sarkozy war vielleicht der letzte als wirklich eigenständiges Blatt. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 29.6.2010)