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Svetlana "Ceca" Ražatović. Zu ihrem legendären Konzert im Marakana-Stadion im Jahre kamen 100.000 Zuschauer

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Ceca und Željko "Arkan" Ražnatović bei ihrer Hochzeit im Februar 1995

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Der Kopf der blonden Frau mit den langen Beinen ist gesenkt. Sie blickt nach oben in die Kamera, während sie anrüchig einen großen Lollipop an ihre grell geschminkten Lippen führt. Ein junger Mann, der nur eine hautenge Lederhose und ein Halsband trägt. Die Blondine neben ihm ist ebenfalls in knappes Leder gehüllt - das Top bedeckt ihre riesigen Silikonbrüste nur dürftig. Mit der einen Hand zerrt sie an der Leine des Halsbandes, die andere führt den Lolli zum Mund. Paare, die sich beim Liebesspiel in Dreck wälzen. Dazwischen immer wieder die Blondine aus der ersten Szene.

Brachialerotik

Pornoszenen, könnte man meinen. Stimmt aber nicht. Oder nur bedingt. Was wie Szenen billiger Porno-Produktionen anmutet, sind Ausschnitte aus einem Musikvideo von Jelena Karleuša. Der plumpe, von Brachialerotik gespickte Videoclip kann als exemplarisch für die Machart von Turbo Folk angesehen werden. Die Zutaten dieses Musikgenres, dessen Entwicklung ihre Anfänge in den 1970er-Jahren im damaligen Jugoslawien und den Höhepunkt im Serbien der 1990er-Jahre hatte, sind schnell aufgezählt: Man nehme traditionelle (Volks-)Musik, vermische sie mit Rock-, Pop- und Technoklängen (in letzter Zeit vermehrt auch mit arabischen Rhythmen) und füge einfache Texte, in denen Stereotype besungen werden, hinzu. Abgeschmeckt wird mit plumpen Videos, in denen viel nackte Haut und vor allem große Silikonbrüste gezeigt werden. Umrühren und fertig ist der nächste, massenwirksam inszenierte Hit. Hört sich einfach an, ist es vermutlich auch. Unumstritten ist diese Art von Musik jedoch schon lange nicht mehr. Und das hat nicht nur mit ihrer oft fragwürdigen musikalischen Qualität oder ihrer Nähe zur Pornografie zu tun.

Partymusik und Silikonbusen

In Verruf geriet Turbo Folk vielmehr aufgrund seiner politischen Implikationen. Unter Slobodan Milošević war er zwischen 1990 und 2000 der medial verbreitete Ausdruck des Belgrader Regimes. Seine InterpretInnen besangen in den Kriegsjahren ihr Heimatland Serbien, dessen Traditionen und dessen Glauben, den serbischen Stolz, die Heldentaten der serbischen Armee, die Liebe und auch die heile Welt, die im damaligen Serbien längst der Vergangenheit angehörte. "Mit Partymusik und Silikonbusen wurden unter Milošević Gefühle einer heilen Welt produziert. Das Motto: Wir Serben haben's gut, was kümmert uns der Rest der Welt", so die Musikwissenschaftlerin Ksenia Stevanović.

Pink-TV

In den Songs wimmelte es nur so von Nationalismen und Extremismen. Wenig verwunderlich, dass sich die SängerInnen - nicht nur bei ihren Auftritten - einer stark nationalen und religiösen Symbolik bedienten. Verbreitet wurde das ganze via Pink TV, das im Jahr 1994 den Sendebetrieb aufnahm und hauptsächlich Videoclips von Turbo Folk-InterpretInnen, Interviews mit den SängerInnen, Talkshows und Telenovelas zeigte. Zu Beginn seines Bestehens befand sich der Sender übrigens in Besitz von Mirjana Marković, der damaligen Frau und heutigen Witwe von Slobodan Milošević.

Ceca und Arkan

Vielfach wurde Turbo Folk als Beiwerk und Ausdrucksmittel der Belgrader Mafia- und Machokultur der Kriegsjahre gesehen. Tatsächlich waren einige der bekanntesten Turbo Folk-Interpretinnen mit hochrangigen Mafiosos liiert. So hatte die bereits erwähnte Jelena Karleuša in den 1990er-Jahren eine Beziehung mit einem Drogendealer und Waffenschmuggler. Und Svetlana "Ceca" Ražnatović, die als Königin des Turbo Folk gilt, heiratete im Februar 1995 Željko "Arkan" Ražnatović, Anführer der paramilitärischen Organisation "Srpska dobrovoljačka garda" (dt.: Serbische Freiwilligengarde) und der Pate der serbischen Unterwelt. Die Hochzeit der beiden wurde vom serbischen Staatsfernsehen live übertragen. Den kirchlichen Teil der Trauung bestritt Arkan, der nach Milošević zweitmächtigste Mann im damaligen Serbien, in einer serbischen Offiziersuniform aus dem Ersten Weltkrieg. Darüber trug er ein überdimensionales Kreuz aus Gold. Zwei Jahre später wurde er vom UN-Kriegsverbrechertribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, im Jahr 2000 im Belgrader Hotel Intercontinental erschossen.

Apolitisierung?

Mit dem Sturz von Slobodan Milošević hätte es eine Neuorientierung im Turbo Folk gegeben, weil man das nationalistische Image los werden wollte, führt Stevanović aus. Heute würde die unter dem Label Turbo Folk subsumierte Musik "mehr nach MTV klingen". Die MusikerInnen würden aufwändige internationale Alben produzieren, mit denen sie auch in den anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens ein Publikum fänden, Was für den serbischen Turbo Folk gelten mag, stellt sich für den kroatischen anders dar, wie der kroatische Regisseur Oliver Frljić darlegt: "Ich glaube, dass sich die Politik vor Turbo Folk ängstigt, weil er Werte wie Säuberung der Nation, Katholizismus als Basis der Gesellschaft, kulturelle Übermacht der Kroaten im Vergleich zu anderen usw. anspricht, welche zum Teil ohnehin im Bewusstsein der Bevölkerung oder in den Programmen der Politiker verankert sind, was sie aber nie direkt zugeben würden." Doch unabhängige davon wie die offizielle kroatische Politik zum Turbo Folk steht, erfreut sich diese Musikrichtung auch in Kroatien großer Beliebtheit. Stars aus Serbien oder Bosnien absolvieren landesweit erfolgreiche Gastauftritte und mit Severina Vučković hat auch Kroatien einen eigenen (Skandal)-Star mit eindeutigem Turbo Folk-Einschlag. (Meri Disoski, 28.6.2010, daStandard.at)