Mehr als 120.000 Bürger marschierten am Freitag lautstark unter einem Meer von roten Fahnen und antiamerikanischen Parolen auf den Kim-Il-sung-Platz in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang. Das Propagandaspektakel diente der Erinnerung an den sechzigsten Jahrestag des Ausbruchs des Koreakriegs.

Das kriegerische Getöse lenkt jedoch von wichtigerem ab. Der "geliebte Führer" Kim Jong-il ist dabei, die Weichen für seine Nachfolge zu stellen. In Kürze soll sein Sohn Kim Jong-un, von dem man beinahe nichts weiß, als sein Nachfolger installiert werden. Nordkorea führt soeben die erste dynastische Regierung eines sozialistischen Staates ein.

Zur Inthronisierung Kim Jong-uns muss Vater Kim, der formal auch Generalsekretär der Partei ist, nun die Funktionäre zu Hilfe rufen, die er Jahrzehnte vernachlässigt hat. Möglichem parteiinternem Widerstand hat er durch eine Reihe jüngster Umbesetzungen vorgebaut. Zudem musste das überalterte Politbüro nach einer Reihe von Todesfällen aufgefrischt werden.

Kim senior muss für einen reibungslosen Machtwechsel zugunsten seines Sohnes Zeit gewinnen. Auch für ihn ließ sein Vater Kim Il-sung 1980 einen Sonderparteitag einberufen, bei dem er seine erste offizielle Position erhielt. Doch erst 1998 - 18 Jahre später und vier Jahre nach dem Tod seines Vaters - konnte Kim senior alle Macht in Partei und Staat auf sich vereinen. (Johnny Erling, DER STANDARD, Printausgabe 28.6.2010)