Wer am Wochenende die Kommuniqués vom Gipfel der 20 mächtigsten Industrie- und Schwellenländer in Toronto las, konnte zu dem Schluss kommen, im falschen Film gelandet zu sein. Eineinhalb Jahre sind vergangen, seitdem das Bankensystem in weiten Teilen der Welt zusammengebrochen ist und nur durch milliardenschwere staatliche Hilfen gerettet werden konnte. In dieser Zeit hat die Rezession 34 Millionen Menschen den Job gekostet. Bankenhilfe, Konjunkturprogramme und die sinkende Wirtschaftsleistung haben den Weg für die Schuldenkrise geebnet. Erste Staaten sind fast pleitegegangen (Griechenland, Ungarn) oder stehen knapp davor (Spanien).

Was machten die G-20? Sie führen Scheingefechte. Die USA und Europa verloren sich in sinnlosen Geplänkeln darüber, wer wie viel sparen soll. So als ob am Ende dieser Debatte etwas anderes als vage Ziele unter dem Motto "Sparen ist wichtig, die Wirtschaft stärken aber auch" herauskommen hätte können.

Die Wahrheit ist, dass seit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers bei der internationalen Finanzmarktregulierung kaum etwas weitergegangen ist und daran auch Toronto nichts zu ändern vermochte. Die Reformbilanz fällt insbesondere in Europa schlecht aus. In den USA hat sich der Kongress am Freitag auf die von US-Präsident Barack Obama initiierte Finanzmarktreform geeinigt. Zwar wurden zentrale Elemente des Pakets im allerletzten Moment abgeschwächt. Aber immerhin werden einige Lehren aus der Krise in Gesetzesform gegossen. So wird der Markt transparenter: Ein großer Teil der Derivate - das sind Finanzprodukte, deren Wert von anderen Finanzprodukten abhängt - muss künftig über Börsen gehandelt werden. Die US-Notenbank Fed wird dem Kongress künftig so viel Auskunft geben müssen wie nie zuvor. Ein Abwicklungsverfahren für wackelnde Banken kommt.

In Europa dagegen hat eine ernsthafte Diskussion darüber, wie groß Banken überhaupt werden dürfen, wie viel Risiko den dahinter stehenden Staaten also zugemutet werden kann, nicht einmal begonnen. Die EU-Richtlinie zur Regulierung der Hedgefonds steckt fest. Ideen zur Schaffung einer EU-Ratingagentur sind nicht vom Fleck gekommen. Konkrete Ergebnisse darüber, wie Aufsichtsbehörden mit grenzüberschreitend aktiven Großbanken umgehen sollen, gibt es nicht. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Stattdessen reitet Europa auf der Bankenbesteuerung herum. Nicht dass eine Beteiligung der Finanzindustrie an den Krisenkosten nicht umgehend geboten wäre. Aber die Gefahr wächst, dass in Deutschland, Frankreich und Österreich am Ende der Reformdebatte nur diese Steuer stehen wird. Oder kennen Sie noch eine finanzpolitische Idee von Bundeskanzler Werner Faymann?

Weitere Reformimpulse werden aber nur von Europa ausgehen können. Nach den Kongresswahlen im November wird der Druck auf die US-Politiker, die Wall Street weiter umzukrempeln, rapide abnehmen. Und von Kanada, Australien und den Schwellenländern kam in puncto Regulierung bisher sowieso nur ein lapidares "Was geht uns eure Krise an?".

Das Fenster für internationale Kooperationen, das nach dem Lehman-Kollaps aufging, schließt sich wieder. Derzeit sieht es so aus, als würden auch vom kommenden G-20 Gipfel im November in Seoul nicht viel mehr als nette Gruppenfotos von Politikern übrigbleiben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.6.2010)