Bengt Landfeldt (59) arbeitet für das Internationale Programmbüro für Erziehung und Training in Stockholm, davor leitete er die Schwedische National-Agentur für Schulverbesserung, die 2008 von der konservativen Regierung im Oktober 2008 geschlossen wurde.

Foto: HOPI-Media

Die Kritik des Bildungsexperten Bengt Landfeldt am schwedischen Schulsystem klingt seltsam vertraut: zu wenige zu schlecht ausgebildete Lehrer, zu große Klassen, Segregation, lernfaule Buben. Petra Stuiber sprach mit ihm.

***

Standard: Schweden und Finnland haben sehr ähnliche Schulsysteme, dennoch funktioniert das finnische offenbar besser. Schweden hat einen hohen Anteil an Schülern ohne Abschluss, schwedische Schüler haben Wissenslücken bei Naturwissenschaften. Woran liegt das?

Landfeldt: Es gibt mehrere Gründe. Einer ist, dass finnische Lehrer einen viel höheren Status haben als schwedische. Während es in Finnland große Konkurrenz unter den Studierenden gibt, überhaupt zur Lehramtsausbildung zugelassen zu werden, ist es hier genau umgekehrt. Wir haben nicht genug Studenten, die Lehrer werden wollen. Ein zweiter Grund ist wohl, dass Migration in Finnland ein junges Phänomen ist, während wir hier immer einen relativ hohen Anteil an Migrationsbevölkerung hatten, der uns vor andere Herausforderungen stellte.

Standard: Inwiefern?

Landfeldt: Ein Problem ist die Wohn-Segregation. Migranten leben zumeist in sehr abgeschlossenen Wohngebieten und sehen kaum Schweden - weil Schweden wegziehen, wenn ein Stadtteil zum "Migrantenviertel" wird. Es gibt nicht zu viele Migranten, es gibt zu wenige Schweden in bestimmten Gegenden.

Standard: Warum sind schwedische Schüler Mathematik-Muffel?

Landfeldt (lacht): Weil wir sie nicht so drillen wie die Finnen. Im Ernst: Bei uns legen die Schulbehörden viel Wert auf Diskurs, wir sind sehr interessiert an der Mobilität unserer Schüler, unterstützen Auslandsaufenthalte. Die meisten Schulen, leider nicht alle, ziehen da mit uns an einem Strang. Über schwedische Schüler wird in ganz Europa gesagt, sie wirkten sehr erwachsen, vertreten ihre Meinung und hätten keine Angst vor dem Chef. Dafür sind sie nicht so gut in Mathematik.

Standard: Was macht man da?

Landfeldt: Was man immer macht: Geld in die Hand nehmen. Die Regierung hat bereits einige Projekte gestartet, vor allem in Vorschulen, um das Verständnis für Zahlen bereits in jungen Jahren zu fördern. Ich persönlich meine, man sollte die Sache cooler nehmen, die Resultate der schwedischen Schüler sind nicht so schlecht.

Standard: In Österreich ist Mathematik oft ein Gender-Problem: Mädchen sind besser in Sprachen, Buben besser in den Naturwissenschaften. Wie ist das in Schweden?

Landfeldt: In Schweden sind Mädchen in allem besser. Buben sind weniger an der Schule interessiert - das ist ein Problem, weil sich die Unterschiede zwischen Mädchen und Buben in den letzten Jahren deutlich vergrößert haben. Es gibt zu wenige männliche Lehrer. Die "unabhängigen" Schulen nehmen oft nur Schüler mit guten Noten. Das sind zumeist Mädchen, auch jene mit Migrationshintergrund. Dadurch gibt es "gute" Schulen, die fast nur von Mädchen besucht werden - und "Bubenschulen", die keinen so guten Ruf haben. Das führt zu Segregation.

Standard: Was würden Sie am schwedischen System verbessern?

Landfeldt: Jeder Schüler ist eine eigenständige Persönlichkeit. Also müssen wir uns bemühen, das Schulsystem so individuell wie möglich zu gestalten. Das ist aber schwierig, weil wir große Klassen haben, in denen oft nur ein Lehrer steht. Jeder sollte in seiner eigenen Geschwindigkeit lernen dürfen. Die Realität ist: Wir haben eine durchschnittliche Lerngeschwindigkeit vorgegeben, manche bleiben zurück, und manche langweilen sich. Wir brauchen mehr und besser ausgebildete Lehrer. Und kleinere Gruppen, vor allem in den Vorschulen.

Standard: Schüler werden erst spät benotet - ist das ein Problem?

Landfeldt: Allerdings. Es sollte Noten geben, und es sollte sie früher geben. Das wird durch das neue Gesetz geändert, und das ist gut so. (Stuiber/DER STANDARD Printausgabe, 26.6.2010)