In Österreich kann man, wenn sich die eigene Nationalmannschaft wieder einmal nicht für ein Großereignis qualifizieren konnte, zumindest auf eines hoffen: ein frühes Ausscheiden der Deutschen. Aber schon in der Vorrunde? Das erschiene sogar uns Österreichern übervorzeitig.

Abgesehen davon, dass die Zeit nie geworden, immer schon da gewesen ist, wird es normalerweise erst ab dem Achtelfinale Zeit, dass sich die wahre Weltmeisterschaft aus ihrer Höhle traut, sich den Menschen zeigt - und die Deutschen endlich ausscheiden.

Es gab aber auch einmal eine Zeit, in der eine Weltmeisterschaft noch nicht so wichtig gewesen ist, sich nur acht Mannschaften daran beteiligten, und es gab auch einmal eine Zeit, in der ein Ingeborg-Bachmann-Preis noch von Dienstag bis Sonntag gedauert hat und nicht auf drei fernseherträgliche Tage und 14 (von damals 22) Autoren zusammengekürzt worden ist. Mittlerweile leben wir in einer Zeit der völligen Verfußballisierung, einer Fußballokratie, in der ein Lothar Matthäus zugeschriebener Spruch: "Was halten Sie von Toulouse-Lautrec? - Sehr viel, das sind zwei hervorragende Mannschaften. Ich tippe auf ein Unentschieden" , traurige Realität geworden ist. Eine Zeit, in der der Fußball alles andere mit sich selbst paniert, Mannschaften an ihren eigenen Erwartungen zerbrechen und sogar Deutschland bereits in der Vorrunde vom Einpacken bedroht war. Aber ausgerechnet gegen Ghana? Gegen eine Mannschaft, die bei diesem Turnier aus dem Spiel heraus noch kein Tor erzielen konnte? Aber Deutschland verlor - nämlich die Wahl der Dressenfarbe, musste ganz in Schwarz spielen, Deutschland zitterte, wackelte, und selbst nach der glücklichen Führung gab es kein selbstbewusstes Aufgeigen, nichts Flüssiges, sondern ein ängstliches, verstocktes Verstecken vor einem spielerisch besseren Gegner.

Doch es hat gereicht - auch weil sich Ghana plötzlich, von allen guten Geistern verlassen, auf Australien verließ, das den knappen Sieg gegen Serbien gerade noch so über die Zeit brachte. Oder wollte man aufseiten der Westafrikaner ein Treffen mit England vermeiden und überließ Deutschland daher dieses Ghanaergeschenk?

Die Zeit ist eine seltsame Angelegenheit, wie ein Wandverputz umgibt sie uns tagtäglich, bis wieder mal ein großes Stück herunterbricht. Eine unendlich lang erscheinende Zeit werden die Spiele herbeigesehnt, um dann in 90 Minuten relativ schnell zu vergehen - obwohl es auch hier Phasen gibt, die einem wie eine Ewigkeit erscheinen. Die Zeit der Vorrunde war entschieden zu lang.

So wird es also Zeit, dass es endlich Zeit wird, auch wenn die Zeit nie geworden, schon immer da gewesen ist. Zeit, dass Deutschland ausscheidet, weil einem als Österreicher sonst nicht viel vergönnt ist. Allerdings muss man sich gegen England nur ins Elferschießen retten, um fast schon wieder Finalluft zu schnuppern.

Wie ein Fluss ist sie, die Zeit, und das Letzte, was sie uns entgegengetrieben hat, ist diese WM. Und auch wenn sie genug Überraschungen zeitigt, ist die größte vielleicht das desaströse Abschneiden der Afrikaner, nur Südafrika wird trotz Ausscheidens nicht nach Hause fahren. Ghana auch nicht. Und von Nordkorea weiß man es noch nicht, wiewohl die Spieler schon gegen Portugal verdächtig oft auf die "I'm lovin' it" -Werbetafel des Klassenfeinds geschossen haben. Ob ihnen das was nützt?

Weltmeister werden die Deutschen so wohl kaum werden. Und wenn sie tatsächlich bereits gegen England ausscheiden sollten, hat man zumindest die Gewissheit, dass es dann bald (EM-Quali) gegen Österreich geht. Das hört sich nach was an, nach großer Zeit. (DER STANDARD Printausgabe, 29./30. Juni 2010)