Wien - Schrill erklingt die Schulglocke. Wie auf Kommando füllt sich das Stiegenhaus mit Jugendlichen, die sich in den verschiedensten Sprachen Abschiedsgrüße zurufen. Maturanten lassen ihrer Freude über die erlangte Freiheit freien Lauf, während der Rest der Schüler noch unter den bevorstehenden Prüfungen stöhnt. Neben einem türkischen Werbeplakat werden Besucher durch eine Ehrung an der Wand auf den kürzlich erlangten Titel "Unesco-Schule" hingewiesen. In Österreich gibt es 67 davon.

Die Handelsakademie (HAK) des bfi in der Wiener Margaretenstraße ist stolz auf einen Anteil von 95 Prozent Schülern mit Migrationshintergrund bei insgesamt 1450 Lernenden. Sie führt sowohl eine Tages- als auch eine Abendschule. Zusätzlich haben die Jugendlichen die Wahl zwischen einer normalen HAK oder Handelsschule (HAS) und einer EDV- oder Ganztagsschule im ersten Jahrgang. Die private HAK hat sich den Schwerpunkt "Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung" gesetzt und kostet 350 Euro im Semester. Neben dem Naturwissenschaftsraum und einer Bibliothek bietet sie einen gut ausgestatteten Seminarraum, indem interkulturelle Begegnungen stattfinden.

"Unsere Schule hat einen schlechten Ruf" , meint die 17-jährige Elly. Sie führt den Prestigeverlust auf den hohen "Ausländeranteil" an ihrer Lehranstalt zurück, da in der Bevölkerung viele Vorurteile vorhanden seien und das Thema Migration negativ besetzt sei. Sie habe auch beobachtet, dass sich in den Klassen Nationalitätengruppen bilden. Eine Mitschülerin relativiert: "Aber wir verstehen uns alle."

Das Institut Kutschera, welches eine Analyse der Schule durchgeführt hat, preist genau diesen Kulturenreichtum als Stärke an. "Man sollte stolz sein, auf diese Schule zu gehen. Auf so engem Raum mit so vielen Kulturen umzugehen lernt man sonst nirgends" , meint Trainerin Helga Kirchengast. Positiv sei auch, dass diese Multikulturalität von sich aus entstanden sei. Sie habe bei den Lehrkräften ein großes Engagement hervorgerufen, die Situation stetig zu verbessern. So bemühen sich die Schüler etwa bei einem Projekt mit einer ungarischen Schule durch zehn Stunden Sprachunterricht, der anderen Kultur näherzukommen.

"Berufsweg verbindet alle"

Auch auf interner Ebene wolle man die Identitätsfindung der Jugendlichen unterstützen. Mit dem Projekt "role models" möchte Direktor Fred Burda die Motivation seiner Schüler mithilfe von Uni-Absolventen mit ähnlichem Background steigern. "Ein Student, der nicht Deutsch als Muttersprache hat und den Schülern zeigt, wie man hier seinen Weg findet, kann viel bewirken." In seiner Institution der Diversität sieht Burda jedenfalls ausreichend Potenzial für seine Schützlinge, sich eine eigene Kultur zu erarbeiten.

Anderen Schulen rät er, die mitgebrachten Kulturen der Schüler willkommen zu heißen und in den schulischen Alltag einzubinden. "Im Ramadan machen Muslime an unserer Schule gerne ein Fest - es gibt viele Anknüpfungspunkte."

Die Fülle von über 40 Sprachen, die an der Schule vorhanden ist, stellt gleichzeitig eine Bereicherung wie eine Herausforderung dar. Doch um das Selbstbewusstsein der Schüler zu stärken, sollen sie lernen, kontrolliert die deutsche Sprache einzusetzen. In den Pausen wird die Regel, Deutsch zu sprechen, aufgelockert. Um Konflikten vorzubeugen, sollen sie bei der Verwendung ihrer Muttersprache aber vor allem Rücksicht auf ihre Mitschüler nehmen.

Der Direktor weiß, dass die Schüler trotz unterschiedlicher Herkunftsländer etwas gemeinsam haben: "Der Berufsweg verbindet alle. Wenn ich den Schülern das in die Hand gebe, dann haben sie ihr gesamtes Schicksal eigentlich auch fest in der Hand." (Nermin Ismail, Aurora Orso, DER STANDARD, Printausgabe 26./27. Juni 2010)