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Walter Heun, Intendanz TQW.

Foto: APA

Wien - Diese Woche schließt das Tanzquartier Wien (TQW) seine erste Saison unter dem Intendanten Walter Heun mit einer Lecture Performance der französischen Choreografin Alice Chauchat ab. Als Nachfolger der Gründungsintendantin Sigrid Gareis, die das Haus in acht Spielsaisonen zu einer Top-Institution im internationalen Tanzgeschehen aufbaute, hatte Heun keinen ganz leichten Job übernommen. Zusammen mit seiner Dramaturgin Sandra Noeth und der Theorie-Kuratorin des TQW, Krassimira Kruschkova, versuchte er einen Balanceakt zwischen Kontinuität und Neupositionierung.

Große Dampfer unter den Gästen waren die Trisha Brown Dance Company und das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, die die große Halle E im Museumsquartier füllten; die japanische Größe Saburo Teshigawara und der französische Ausnahmechoreograf Boris Charmatz. Als Programm-Highlights firmierten zwei festivalähnliche "Verdichtungen" , in denen neue zeitgenössische Choreografie mit ihren Diskursbildungen präsentiert wurden: Die Haut der Bewegung - herausragend: Der deutsche Künstlerzwilling deufert + plischke und die Schweizer Cie. 7273 - und Scores#1: touché, unter anderen mit der Dänin Mette Ingvartsen und dem Österreicher Philipp Gehmacher. Die Scores-Reihe wird in der nächsten Spielsaison mit weiteren zwei Ausgaben weitergeführt.

Gemeinsam mit dem brut Theater initiierte Heun auch die erste Wiener Tanznacht. Ob es eine zweite geben wird, die im Herbst von brut organisiert werden soll, steht noch in den Sternen und den Kalkulationen des Bundes.

Das Gesamtprogramm des TQW enthielt einige wichtige internationale Positionen wie Laurent Chétouanes Tanzstück #4: leben wollen (zusammen) und Myriam Gourfinks Courbeau. Unter den Österreichern stachen Anna Mendelssohns Cry Me A River und Paul Wenningers 47 items besonders hervor. Aber es gab auch echte Downer wie Dave St-Pierre, Anna Huber oder Felix Ruckert. Dann wieder historisch Interessantes wie die Rekonstruktion eines Stücks der deutschen Symbolfigur Gerhard Bohner und den Wigman-Abend von Fabian Barba.

Alles eitel Freudentanz also in Walter Heuns Quartier? Nicht ganz, denn der Intendant hat zwar die Vermittlung verstärkt, aber die künstlerische Forschung in Laboren auf ein Minimum heruntergefahren. Weiters hat das Tanzquartier an Programmdichte und kunstpolitischer Schärfe verloren. Es agiert nicht mehr so sehr als jenes Kraftwerk für innovative künstlerische Konfrontationen wie unter Gareis und deren Dramaturgin Martina Hochmuth. Heun wird dafür sorgen müssen, dass seinem Haus die Funktion einer Experimentierstätte nicht verlorengeht.

Als wichtiges Ziel wollte Heun neue Publikumsgruppen erschließen, Vermittlung wurde großgeschrieben, die Saison begann mit dem Motto "Wir erweitern den Kreis" .

Die Gesamtzahl der Tanzquartierbesucher konnte Heun, der dringend eine Budgetaufstockung fordert, halten: Mit etwas mehr als 50.000 bewegt sie sich im Rahmen der beiden Saisonen davor. Die Gesamtauslastung stieg verglichen zu 2008/09 von 80 auf 86 Prozent. Die Eintrittspreise wurden angehoben, die Einnahmen aus Kartenverkäufen haben sich verdoppelt. Zur Gastfreundschaft, die Heun sehr hoch hält, gehören auch Partys. Gerade in einem Haus für Tanz sollte in der kommenden Saison nicht wieder ganz darauf verzichtet werden.  (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 25.06.2010)