Als der Sciencefictionautor Arthur C. Clarke in den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts einen Kommunikationssatelliten beschrieb, ahnte er nicht, dass seine Vision bald Wirklichkeit werden sollte. Wenngleich in etwas anderer Ausführung, als sie sich der Veteran unter den Scifi-Autoren (2001. Odyssee im Weltraum) vorstellte. Sein Satellit benötigte noch "Stöpseldamen" auf der Erde, um die erdumspannende Kommunikation via All zu gewährleisten.

"Es gibt viele Beispiele, wie literarische Zukunftsszenarien von der Technik aufgegriffen werden", sagt der ausgewiesene Zukunftsforscher und Autor von Sciencefictionliteratur Karlheinz Steinmüller: "Sciencefiction transportiert und kolportiert Leitbilder für die Technik. Die Literatur manifestiert Wünsche, die in einer Gesellschaft vorhanden sind." Zum Beispiel die Entwicklung von Handys: Bis ins ferne Jahr 1910 kann man literarische Prototypen der kleinen Schnurlostelefone zurückverfolgen. Wichtig werden sie aber vor allem in Comics der 20er- und 30er-Jahre. "Irgendwoher müssen die Ideen kommen", sagt Steinmüller. "Und meistens kommen sie nicht von den Entwicklern selbst."

Das gerade von Steven Soderbergh verfilmte Scifi-Kultbuch Solaris von Stanislaw Lem, dem Andrej Tarkowskij bereits 1972 durch seine Verfilmung ein Denkmal setzte, wirft das Problem grundsätzlicher auf. Welche Vorstellungen machen wir uns von dem, was in Zukunft sein wird? Auf welche Imaginationen greifen wir zurück? Und: Wie stellen wir uns außerirdisches Leben vor?

Die Pointe von Lems Roman, in dem sich ein Wissenschafter auf den Planeten Solaris begibt, fast vollständig von "Polytheria", einer Art Ozean aus Plasma mit rätselhaften Eigenschaften umgeben, ist erkenntnistheoretischer Art: Die Suche nach dem ganz Anderen ist in Wahrheit die Suche nach uns selbst. So wie der Ozean das Unbewusste der Raumfahrer leibhaftig werden lässt, sind auch Zukunftstechniken auf schon vorhandene Visionen und Bilder angewiesen.

"Wir haben nichts anderes", erklärt Steinmüller, der seit vielen Jahren im Verbund mit seiner Frau Angela die Zukunft beackert, "wir sind gezwungen, auf menschliche Begriffe zurückzugreifen. Wissenschaftliche Modelle, die sich mit außerirdischem Leben beschäftigen, orientieren sich immer an der Evolution auf der Erde. Wie das Leben auf einem Fixstern unter den Bedingungen nuklearer Reaktionen aussehen könnte, das entzieht sich schlicht unserer Vorstellungskraft." Auf Solaris erscheint dem Wissenschafter Kevin seine große Liebe Harey, die sich wegen ihm umgebracht hat. Sie muss ein zweites Mal sterben, damit der Spuk aufhört. Die Wissenschaft der "Solaristik", die sich auf der Erde mittlerweile herausgebildet hat, um mit dem Ozean Kontakt aufzunehmen, hilft da auch nicht wirklich weiter.

Lems Parodie

"Bei Lem ist das natürlich eine Wissenschaftsparodie. Man kann die Solaristik aber durchaus mit dem vergleichen, was bei uns in den 60er-und 70er-Jahren passiert ist", sagt Steinmüller. Im Zuge des allgemeinen Booms der Weltraumforschung haben Wissenschafter damals an Programmen gearbeitet, wie man mit Außerirdischen Kontakt aufnehmen kann. "Etwa der holländische Mathematiker Hans Freudenthal: Er entwickelte 1960 die Kunstsprache Lincos, die Lingua Cosmica, mit deren Hilfe man mit Bewohnern anderer Galaxien interagieren hätte sollen. Nur dass diese Sprache zur Gänze auf Mathematik basierte, die Voraussetzungen der Kommunikation natürlich wieder menschlich waren."

Auch Lem, der sich das ominöse Andere immerhin nicht als kleines, grünes Männchen, sondern als Ozean imaginierte, war vor seinen eigenen Assoziationen nicht gefeit. Sein Ozean "flutet", hat "eine schaumige Konsistenz", die Kosmonauten sehen "Lippen, die sich zusammenkrampfen", Nabelschnüre und schleimige Gebilde. Eine Semantik, die aufs Engste mit Beschreibungen der weiblichen Sexualität verknüpft ist. Lems Blick in die Zukunft entpuppte sich dergestalt als Blick auf das andere Geschlecht. (Stephan Hilpold/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 4. 2003)