Mit wehenden Fahnen in den Fettnapf der Gefühsduseligkeit: die US-Band The Gaslight Anthem.

Foto: Ashley Maile / Trost Rec.

Wien - Das Leben sogenannter kleiner Leute in vier Minuten als Epos anzurichten, das ist die große Kunst des Bruce Springsteen. Dieses Modell ging welterfolgreich bei all jenen rein, die sich in den Songs des Boss aus New Jersey wiederfanden. Denn auch wenn ihr Dasein ein lebenslanges Scheitern bedeuten mag, die Hoffnung auf Erfüllung des Mythos "American Dream" , in Springsteens Liedgut bleibt sie aufrecht.

Nach demselben, von Durchhalteparolen durchzogenen Die-Hoffnung-stirbt-zuletzt-Prinzip arbeitet die Band The Gaslight Anthem. Verkürzt dargestellt könnte man sie als Bruce Springsteen für die Jugend bezeichnen. Oder - wie es ein US-Kritiker formuliert hat:"So könnte Springsteen klingen, wenn er nicht auf seine Produzenten, sondern die Ramones gehört hätte." Eben ist das dritte Album der wie Springsteen aus New Jersey kommenden Band erschienen: American Slang.

Bereits der Titel evoziert Herkunftsstolz und aufrechten Gang. Wenig überraschend pflegt das Quartett das Blue-Collar-Ethos, und Sänger Brian Fallon klingt auch wie sein großes Vorbild, wie ein junger, noch hungriger Springsteen. Dieser unterstützte The Gaslight Anthem im Vorjahr höchstselbst, als er bei einem Festival die Band in einem Song begleitete und Fallon später bei seinem Konzert auf die Bühne bat. Das verlieh Fallon nicht nur Gänsehaut über seinen Tätowationen, die medienwirksame Geste des Boss schlug sich verkaufstechnisch entsprechend nieder.

Deshalb wird The Gaslight Anthem nun der große Durchbruch vorausgesagt. American Slang soll dem Jersey Shore Sound zu einem neuen Hoch verhelfen. So nennt man jene Musik, die vor den Toren der Metropole New York produziert wird. Ein ruraler Sound, wenig intellektualisiert, ein Gradmesser für den Gefühlshaushalt des amerikanischen "Heartland" , wo in jedem Vorgarten die US-Fahne weht.

Saxofon und Plattitüden

Bei einer derartigen Ausrichtung geht ohne Pathos nichts. Doch wo bei Springsteen das Saxofon und bei Bon Jovi die Plattitüden einsetzen, tritt man bei The Gaslight Anthem zuerst einmal aufs Gaspedal. Die Plattitüden müssen noch warten. Immerhin weist die Band eine Sozialisation im Punk auf. Doch die Alltagslyrik, die nicht nur jedem Truckdriver feuchte Äuglein beschert, sondern auch in Europa eine wachsende Fangemeinde bewegt, holt die Band schließlich doch ein.

Spätestens im von sich selbst ergriffenen The Diamond Church Street Choir tappt die Band in den Schmalztopf. Die Ambivalenz zwischen dem Stolz auf die kleinstädtische Herkunft und der Sehnsucht nach dem Leben in der Metropole - im Booklet von Bildern des fernen New York übersetzt - zeitigt keine intellektuellen Resultate. The Gaslight Anthem formulieren lediglich eingängige Mitgröhlstücke, die wie die Gesänge eines Sportvereins klingen und - je nach Spielstand - euphorisch, niedergeschlagen oder in ihrer Eitelkeit gekränkt erscheinen.

Bauch statt Hirn. Dagegen ist prinzipiell nichts zu sagen, Rock 'n' Roll ist ja kein Lehrstuhl. Aber die Dichte, mit der The Gaslight Anthem ihre reflexionslosen Gefühlswallungen kredenzen, wird bald einmal "too much" , wie man in New Brunswick, ihrer Heimat, sagen würde. Was dort, zwischen all den Stars and Stripes, naturgemäß ein bisschen anders gesehen wird. (Karl Fluch/DER STANDARD, Printausgabe, 21. 6. 2010)