Wien - Empfehlung für einen frühen Beginn der Behandlung im Falle einer HIV-Infektion: Gestern nachmittag veröffentlichte die Österreichische Aids-Gesellschaft in ihrem Newsletter die neuen "Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion". Die Präsidentin der österreichischen Fachgesellschaft, die Wiener Pulmologin Brigitte Schmied, dazu: "Man empfiehlt früher zu behandeln. Es gibt auch zum Teil neue Medikamente."

"Ziel der antiretroviralen Therapie (ART) ist es, durch die Hemmung der HIV-Replikation infektionsbedingte Symptome zu unterdrücken, die Krankheitsprogression zu vermindern, eine Rekonstitution der zellulären Immunität zu erreichen und die chronische Immunaktivierung mit ihren resultierenden Entzündungsprozessen zu reduzieren. Die Prognose HIV-infizierter Patienten hat sich durch die ART erheblich verbessert", heißt es in dem neuen Papier. Nur eine starke Unterdrückung der Zahl der HI-Viren im Blut - auf nur noch 20 bis 50 pro Milliliter Blut - könne darüber hinaus eine Resistenzentwicklung und ein darauffolgendes Versagen der Therapie verhindern.

Bester Zeitpunkt

An die seit vergangenem Herbst geltenden internationalen Leitlinien (USA/Europa) wurden von den beiden Fachgesellschaften die Empfehlungen für den besten Zeitpunkt einer Behandlung angepasst. Das soll vor allem anhand der im Blut der Betroffenen festgestellten Zahl der CD4-positiven Zellen geschehen. Sie sind das Ziel der HI-Viren und gehen mit dem fortschreitenden Verlauf der Infektion zunehmend verloren. Von HIV nicht infizierte gesunde Menschen weisen zwischen 700 und 1.200 dieser Zellen pro Milliliter Blut auf. Die nunmehrigen Empfehlungen:

- Behandlungsbeginn bereits bei weniger als 350 CD4-positiven Zellen pro Milliliter Blut, so rasch wie vertretbar (früher wurde oft erst bei weniger als 200 CD4-positiven Zellen therapiert).

- Generell vertretbar ist eine Behandlung auch schon bei einem noch besseren Status des Immunsystems (351 bis 450 CD4-positive Zellen).

- Die Analyse einer großen US-Beobachtungsstudie hat gezeigt, dass sogar ein Therapiebeginn bei mehr als 500 CD4-positiven Zellen eine Verringerung der Sterblichkeit bei den Betroffenen bringt. Eine eindeutige Empfehlung lässt sich daraus aber nicht ableiten.

Aids-Expertin Brigitte Schmied: "Das sind Leitlinien. In der Realität trifft man als Behandler mit dem Patienten jeweils eine individuelle Entscheidung."

Resistenzen ausschliessen

Laut den österreichischen und deutschen Aids-Fachleuten sollte eine antiretrovirale Therapie gegen HIV auf jeden Fall aus einer Kombinationsbehandlung mit verschiedenen Medikamenten bestehen. Dazu werden derzeit vor allem Kombinationen aus zwei sogenannten Polymerase-Hemmern (Blockade des HI-Virus-Enzyms) einer Wirkstoffklasse (Nukleosid-Analoga) und einem sogenannten Protease-Inhibitor oder dem neuesten Wirkstoffprinzip, einem Integrase-Hemmer, empfohlen. Eine andere und ebenso gut wirksame Variante: Die Verwendung von drei Polymerase-Hemmern aus zwei Wirkstoffklassen.

Vor dem Beginn der Behandlung sollte aber getestet werden, ob nicht gegen die geplanten Medikamente Resistenzen bestehen. Die Experten: "In Deutschland sind bei rund 10 Prozent der Patienten vor Beginn der ersten Therapie resistente HIV-Varianten zu erwarten." In der Behandlung selbst haben sich Fix-Kombinationen bewährt. Mehrere Wirkstoffe in einer Kapsel oder Tablette erleichtern die Einnahme. Zu Beginn der Kombinationstherapien mussten die Patienten oft die verschiedenen Medikamente zu unterschiedlichen Zeiten etc. schlucken, was die Sache sehr kompliziert machte.

Nicht empfohlen werden Pausen in der Behandlung. Die Fachleute: "Je häufiger eine Therapie unterbrochen wird, desto größer ist das Risiko einer Resistenzentwicklung (...)." Kostengründe sollten nicht für die Auswahl bestimmter Medikamente ausschlaggebend sein: "Aus ärztlicher Sicht muss sich die Auswahl der individuellen Kombination vorrangig an Unterschieden in der Wirksamkeit, Begleiterkrankungen, eventuellen primären Resistenzen und anderen medizinischen Faktoren orientieren." Natürlich sei aber auch auf eine ökonomische Verschreibweise zu achten.

Brigitte Schmied: "In der heutigen Zeit sind natürlich auch die Kosten zu berücksichtigen. Weltweit ist mit einem Anstieg der Zahl der behandelten Patienten zu rechnen." Derzeit befinden sich weltweit rund vier Millionen Menschen mit HIV-Infektion in Therapie. Zehn bis elf Millionen Betroffene mit behandlungsbedürftiger HIV-Infektion müssten noch zusätzlich versorgt werden, um einen generellen Zugang zu den lebensrettenden Arzneimitteln zu gewährleisten. (APA)