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60.000 orthodoxe Juden gingen am Donnerstag in Jerusalem auf die Straße. "Tretet unseren Messias nicht", stand auf dem Transparent.

Foto: APA/EPA/Hollander

Ein Streit um eine Mädchenschule in einer israelischen Siedlung in der Westbank schaukelte sich zum Grundsatzkonflikt zwischen Orthodoxen und Weltlichen in Israel auf.

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Letzte fieberhafte Vermittlungsversuche, in die auch Staatspräsident Shimon Peres eingeschaltet wurde, waren gescheitert - Donnerstagnachmittag formierten sich zehntausende schwarz gekleidete orthodoxe Juden in Jerusalem und in Bnei Brak bei Tel Aviv zu dem, was israelische Medien im Vorfeld als "Mutter aller Demonstrationen" bezeichnet hatten. Die Polizei bot tausende Beamte auf, weil wilde Zusammenstöße mit womöglich zahlreichen Verletzten befürchtet wurden. Nach der Einschätzung mancher Kommentatoren ging Israel in eine vielleicht prägende Runde im ewigen "Kulturkampf" zwischen den Religiösen und den Nichtreligiösen im jüdischen Staat.

Schulstreit als Auslöser

Begonnen hatte alles relativ unauffällig mit einer Art Integrationsstreit in einer Mädchenschule in der religiösen West-Bank-Siedlung Immanuel. Die Direktion hatte dort die aschkenasischen, also europäisch-jüdischen, Schülerinnen von ihren sephardischen, also orientalisch-jüdischen, Kolleginnen getrennt. Eine sephardische Organisation ging daraufhin zu Gericht, und der Oberste Gerichtshof gelangte zu dem Erkenntnis, dass die Trennung diskriminierend sei und aufgehoben werden müsse.

Die Eltern der aschkenasischen Schülerinnen akzeptieren diese Entscheidung aber nicht. Denn es handle sich keineswegs um ethnische Diskriminierung oder gar um Rassismus, argumentieren sie, man müsse wie in anderen Bereichen der Gesellschaft auch beim Schulunterricht respektieren, dass die verschiedenen Gruppen auch unterschiedliche Lebensweisen hätten.

Haft für die Eltern

Dass die aschkenasischen Eltern ihre Kinder nun einfach nicht mehr in die Schule schicken, ließ dem selbst religiösen Höchstrichter Edmond Levy nun den Kragen platzen. Er legte das als Missachtung des Obersten Gerichtshofes aus und verfügte umgehend, dass die 43 widerständigen Elternpaare am gestrigen Donnerstag eine zweiwöchige Haftstrafe anzutreten hätten.

Das schaukelte sich nun rasant zu einer Grundsatzkonfrontation "zwischen den Orthodoxen und den Prinzipien des Staates" hoch, so der prominente liberale Jurist Amnon Rubinstein. Viele orthodoxe Vertreter erklärten dabei offen, dass rabbinische Entscheidungen für sie Vorrang vor den staatlichen Gesetzen hätten. "Es ist ein Kampf zwischen der Bibel und dem Gerichtsurteil" , sagte Jischajahu Eichler, ein Gemeinderat von Immanuel und Vater eines der Kinder an der Mädchenschule, "die Bibel haben wir vor 3000 Jahren bekommen, das Urteil beruht auf Gesetzen, die wir erst mit der Staatsgründung bekommen haben."

Zehn Prozent Orthodoxe

Auch eigentlich verfeindete Strömungen unter den Orthodoxen, die rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, solidarisierten sich mit den Eltern und wollten sie in einem herausfordernden Triumphzug zum Gefängnistor geleiten. Schachar Botzer, Vorsitzender der Studentenvereinigung, sprach von einer "kritischen Situation" und organisiert für das Wochenende eine Gegendemonstration der Nichtreligiösen: "Wir wollen unsere Unterstützung für das Höchstgericht und die Herrschaft des Gesetzes demonstrieren - wir sagen bis hierher und nicht weiter." (Ben Segenreich aus Tel Aviv /DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2010)