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Schweden stimmte für den "Ausstieg aus dem Ausstieg". Atomkraftwerke, wie dieses im südschwedischen Barseback sollen auch in Zukunft weiterlaufen.

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Reaktor im Atomkraftwerk Forsmark

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Zwei Jahre nach Österreichs Zwentendorf-Abstimmung stimmten die Schweden 1980 für einen Ausstieg aus der Kernenergie. Doch die Stimmung der Bevölkerung hat sich gewandelt. Heute ist eine Mehrheit für Atomkraft.

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Schweden will das jahrzehntelange Verbot des Neubaus von Kernreaktoren aufheben und stattdessen den Bau neuer Anlagen gestatten, um ausgediente zu ersetzen. Dieser historische Beschluss wurde im Stockholmer Reichstag für den Donnerstagabend erwartet. Die Annahme des Gesetzes mit den Stimmen der vier bürgerlichen Koalitionsparteien galt als wahrscheinlich. Vor allem innerhalb der Zentrumspartei, kleiner Koalitionspartner der Regierung von Premier Fredrik Reinfeldt, hatte es einigen Widerstand gegen den Beschluss gegeben.

Mit dem Kippen des alten Gesetzes, das seit 1980 den Bau neuer Atomkraftwerke strikt untersagt hatte, fällt in Schweden ein Tabu. Ein Tabu freilich, dessen Bruch im Ausland wohl für weitaus mehr Aufmerksamkeit sorgen dürfte als in Schweden selbst. Dass vor dem Votum am Donnerstag massive Proteste ausblieben, kann denn auch als Fingerzeig auf das politische Klima in Schweden gelten: Das Land, einst an der Speerspitze der europäischen Anti-AKW-Bewegung, ist für Atomkraftgegner schon lange kein Leuchtturm mehr. Im Gegenteil gehört Schweden mittlerweile zu den Nationen, die weltweit am stärksten auf die umstrittene Energieform setzen: Die Hälfte des Energiebedarfs wird aus Atomkraft gewonnen. Die restlichen 50 Prozent werden durch Wasserkraft erzeugt, auch wenn die Regierung unter Fredrik Reinfeldt kürzlich einen umfassenden Ausbau von Windenergie-Anlagen beschloss.

Seit 1980, als die Schweden unter dem Eindruck der Harrisburg-Katastrophe für den Atomausstieg stimmten, hat sich in der Bevölkerung und innerhalb der politischen Eliten ein massiver Stimmungswandel vollzogen. Heute befürworten acht von zehn Schweden eine gesteigerte Anwendung dieser Energiequelle; in seltener Einigkeit sagen nicht zuletzt Gewerkschaften und Arbeitgeber grundsätzlich Ja zur Kernkraft.

Seit Mitte der 1990er-Jahre sind die Sympathien für die Kernkraft stetig gestiegen. Die Atomkraft gilt ihren Befürwortern als "saubere" Energiequelle, die nicht zum Ausstoß von Kohlendioxid und zur globalen Erwärmung beiträgt. Und sie gilt als Voraussetzung für eine stabile Energieversorgung und somit für Wirtschaftskraft - ein Argument, das unter dem Eindruck der Finanzkrise weiter an Gewicht gewonnen hat. Für einen Kernkraftausstieg fehlen Schweden, das ausdrücklich nicht auf fossile Energiequellen setzen will, bisher reale Alternativen. Ein weiterer Ausbau der Wasserkraft ist umweltpolitisch beinahe ebenso umstritten wie Kernenergie. Die geplanten Windkraftwerke können nur für einen geringen Teil zur Energiebilanz beitragen.

Die weitverbreitete Sympathie für die Kernkraft mag ein Grund dafür sein, dass die zahlreichen Sicherheitsmängel, Pleiten und Pannen, die in den vergangenen Jahren aus schwedischen Kernkraftwerken vermeldet wurden, bei der Öffentlichkeit jeweils nur für eher geringe Aufregung sorgen konnten.

Die Greenpeace-Aktivisten, die am Donnerstag in Stockholm vor Gericht standen, sind für die zweifelhafte Sicherheit in Schwedens Atomkraftwerken beredtes Beispiel: Ihnen war es am Montag problemlos gelungen, in das Gelände des Kernkraftwerks Forsmark einzudringen und dort ihre Protest-Transparente zu entrollen - gegen das Votum, welches Schweden in Zukunft noch enger an die Atomenergie binden soll. (Anne Rentzsch aus Stockholm/DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2010)