"Anschein redaktioneller Inhalte", bezahlt mit Werbegeld, "schadet der Glaubwürdigkeit", warnt der neue VÖZ-Chef Hans Gasser.

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STANDARD: Die Verhandlungen über das neue ORF-Gesetz haben den Zeitungsverband in den vergangenen Tagen wohl am intensivsten beschäftigt. Zufrieden?

Gasser: Ich halte es für akzeptabel. Zufrieden kann man nie sein - da trennen uns die Interessenssphären. Das liegt in der Natur der Sache. Das Machbare scheint erreicht.

STANDARD: Auf derStandard.at/Etat fragten nicht wenige Poster: Was geht die Verleger an, was der ORF im Internet machen darf.

Gasser: Öffentlich-rechtliche Sender dürfen eben nicht, was Private dürfen. Der ORF bekommt mit den Gebühren mehr als eine halbe Milliarde Euro Wettbewerbsvorschuss gegenüber allen privaten Medienanbieter. Dazu kommen jetzt weiter 160 Millionen über vier Jahre. Da kann er nicht annehmen, dass er jeden Jux und jede Tollerei genehmigt bekommt. Und deshalb muss er sich gewissen Beschränkungen unterwerfen. Gerade wenn der ORF in der Vergangenheit versucht hat, sich darüber hinwegzuschwindeln, sind präzise Regelungen und eine vom ORF unabhängige Kontrollbehörde nötig.

STANDARD: ORF-Chefs behaupten gerne, die Zeitungsverleger würden ihn am liebsten a) übernehmen, jedenfalls seine Filetstücke oder b) sprengen.

Gasser: Das weise ich zurück. Gerade in kleinen Ländern wie Österreich spielt öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine wesentliche Rolle. Ein beschädigter, an den Rand gedrängter ORF ist nicht wünschenswert. Deutschland diskutiert gerade über werbefreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das lässt sich so nicht auf Österreich übertragen. Massive Einschränkungen der Onlineaktivitäten des ORF würden dem Markt nicht gut tun. Die für das ORF-Gesetz gefundenen Online-Werbegrenzen sind sehr realistisch für seine Entwicklung im Markt. Überproportionales Werbewachstum wäre bei einem stark gebührenfinanzierten Medium aber nicht akzeptabel.

STANDARD: Das heißt: Werbefreier ORF, wie für ARD und ZDF in Deutschland jedenfalls ernsthaft diskutiert, sehen Sie nicht?

Gasser: Auf kurze und mittlere Sicht würde ich mir das nicht auf die Fahnen schreiben. Koexistenz zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und privaten Medien, Print und elektronisch, ist gut für das Land, für sein publizistisches Angebot und für seine Werbewirtschaft. Wir müssen auch die österreichische Wertschöpfung in der Werbewirtschaft beachten. Und aufpassen, dass wir kein Rollout-Markt für deutsche Anbieter werden. 

STANDARD: Sie sind für zwei Jahre gewählt, weitere zwei Jahre Verlängerung sind möglich und üblich. Was haben Sie sich denn so vorgenommen?

Gasser: Ich übernehme einen sehr geeinten, geschlossenen Verband. Der Wettbewerb untereinander ist weniger wichtig als jener mit neuen Playern aus der digitalen Welt. Diesen Wettbewerb gilt es, gemeinsam zu bewältigen. Ich glaube an die Zeitung als business case in der digitalen Zukunft.

STANDARD: Gerade haben 300 US-Zeitungen eine Kleinanzeigen- und Auktionsplattform gestartet. Ist das unter den österreichischen Verlegern vorstellbar? Onlineplattformen der Medien, auch mit dem ORF, werden ja schon seit Mitte der 1990-er regelmäßig erfolglos verhandelt.

Gasser: Aktuell gibt es keine Initiativen in die Richtung. Aber wir werden in diesem Feld in den nächsten Jahren noch einige Überraschungen erleben. Da schließe ich nicht aus, dass sich über die Plattform Zeitungsverband gemeinsame Aktivitäten eröffnen - warum nicht auch mit dem ORF? Wir können uns heute noch gar nicht vorstellen, was uns auf dieser digitalen Ebene alles erwartet. Print und Online sind zwei Geschwister, die unglaublich gut zueinander passen.

STANDARD: Sie haben von einem geeinten, geschlossenen Verband gesprochen - geschlossen gegenüber Gratismedien und verwandten Arten wie "Österreich".

Gasser: Wir sind ein Verband von Kaufzeitungen und Kaufmagazinen. Da geht es um Qualität und Verantwortung. Wir verlangen ja Geld für unseren Inhalt. Dafür müssen wir unserem Nutzer erklären, warum wir das wert sind. Verleger sollten in Zukunft mehr Aufmerksamkeit und auch mehr Geld investieren, die Qualität zu sichern und zu steigern. Damit können sie wie Leuchttürme aus dem unüberschaubaren Angebot an echten oder vermeintlichen Informationsquellen herausragen. Dafür können sie Geld verlangen. Und wir werden noch wesentlich höhere Zeitungspreise erleben. Und es geht um Qualität, für die man auch im bisher weitgehend kostenlosen Medium Internet bezahlt.

STANDARD: Die Leuchtturm-Rolle reklamierten bisher Öffentlich-Rechtliche wie ZDF-Intendant Markus Schächter für sich. Verantwortung heißt hier?

Gasser: Medien sind in der Demokratie die vierte Gewalt. Aber Macht und Gewalt brauchen Verantwortung und Glaubwürdigkeit. Die Krise der Wirtschaft und damit der Medien hat unsere Branche – zugespitzt formuliert – heute so käuflich gemacht wie nie zuvor. Da gibt es schwarze Schafe und weiterhin vollkommen cleane Medien. Da wird der Anschein redaktioneller Inhalte erweckt, um Werbegelder zu lukrieren. Und das wird von Unternehmen wie von der Politik und von Ministerien gefordert. Das schadet der Glaubwürdigkeit von Medien. Das müssen wir uns bewusst machen.

STANDARD: Ein branchenhygienischer Appell. Eines der vielleicht besonders schwarzen Schafe in dieser Hinsicht hat es bisher - höchstgerichtlich bestätigt - nicht in den Zeitungsverband geschafft.

Gasser: Ich würde nicht ausschließen, dass auch im Verband das eine oder andere schwarze Schaf unterwegs ist. Aber Medien außerhalb des Zeitungsverbandes sind sicher nachhaltiger dabei, den Ruf zu verschlechtern.

STANDARD: Sie haben von mehr Geld für Qualität gesprochen. Zugleich versuchen die Zeitungsverleger, den Kollektivvertrag für Journalisten, die diesen Qualität vermutlich liefern sollen, zu verschlechtern.

Gasser: Ich bin da für intensive, gründliche, und wenn nötig lange Verhandlungen. Aber das wird nicht verhindern, dass einzelne Mitglieder in dieser Frage ihren eigenen Weg gehen werden. Grundsätzlich: Das Thema Qualität hängt für mich nicht zwingend mit einem Kollektivvertrag zusammen. Diesen Kollektivvertrag zu hinterfragen, heißt nicht, Qualität infrage zu stellen. Da geht es um Ausbildung, um Qualifikationen. Ohne guten Journalismus können wir unsere Leser nicht überzeugen - die dann nicht mehr bereit sind, für unsere Leistungen zu zahlen. Billiger Konservenjournalismus reicht dafür nicht.

STANDARD: Was stört Sie so an diesem Kollektivvertrag?

Gasser: Er ist auf längere Sicht nicht finanzierbar. Automatische Gehaltserhöhungen alle fünf Jahre - unabhängig von Leistung und Verantwortung. Das halte ich für gestrig. Die APA hat da mit ihrem Kollektivvertrag einen Schritt in die richtige Richtung gewiesen. Sicher anwendbarer, als das was wir heute haben.

STANDARD: Sie können, Wiederwahl in zwei Jahren vorausgesetzt, vier Jahre Präsident des Zeitungsverbandes bleiben. Gibt es dann noch all ihre Mitglieder, die Sie heute gewählt haben?

Gasser: Darauf würde ich jederzeit wetten. Es kann immer sein, dass Mitglieder, aus welchen Gründen immer, einen Verband verlassen. Aber bei unseren heutigen Mitgliedern, insbesondere den Tageszeitungen, mache ich mir keine Sorgen, dass es sie auch nach meiner Periode geben wird. Ich bin nicht sicher, ob wir die Zahl der Wochenzeitungen und Magazine halten werden. Aber ich bin derart Printmann aus Leidenschaft, dass ich überzeugt bin: Wir werden die Dynamik der digitalen Welt zu nutzen wissen. Das "Wall Street Journal" hat sich an einem Wirtschafts- und Finanzportal in Indien beteiligt. Was erschien diesen digitalen Unternehmer am drängendsten? Sie haben ihr Portal um eine Finanzzeitung ergänzt.

STANDARD: Indien ist kein klassischer Zeitungsmarkt.

Gasser: Stimmt. Aber ich weiß, dass viele Online-Unternehmer es sehr schätzen, wenn sie an Print andocken können, sie auf ganz klassischem Papier publiziert werden, gemeinsame Aktionen machen.

STANDARD: Ihre Wette lautete, jedenfalls alle Tageszeitungen im VÖZ gibt es auch noch in vier Jahren. Bei deren Eigentümern könnte es aber ein bisschen übersichtlicher werden, oder?

Gasser: Auf lange Sicht ist es wahrscheinlich, dass es weniger unternehmerische Einheiten gibt. Aber das heißt nicht, dass die Medienmarken nicht weiter existieren.

STANDARD: Das Medienstaatsekretariat hat sich eine Evaluierung der Presseförderung vorgenommen. Im Verband ist das nicht gerade ein Konsensthema.

Gasser: Die Journalistenausbildung könnte man hier wahrscheinlich noch stärker verankern.

STANDARD:  Stichwort Krise, Stichwort Journalistenkollektivvertrag, Stichwort Titelvielfalt: Wie geht es dem "WirtschaftsBlatt", dessen Vorstand Sie sind?

Gasser: Wir liegen im ersten Halbjahr 2010 über unserem - ehrgeizigen - Plan, auch im Ergebnis. Aber wir haben in den vergangenen zwei Jahren alles getan, um uns leichter, schlanker, effektiver zu machen. Wenn der Markt wieder wächst, können wir das nützen. Aber natürlich hat uns die Krise um ein bis zwei Jahre zurückgeworfen.

STANDARD: Das "WirtschaftsBlatt" experimentierte als eine der ersten Zeitungen mit dem Kollektivvertrag. Sie übersiedeln voraussichtlich 2011 an die Adresse Ihrer Konzernschwester "Die Presse". Was dann?

Gasser: Übersiedlungen stellen immer die Frage: Wie ordnet man sich da? Meine Prinzipien des Journalismus für eine Marke auf verschiedenen Plattformen sind unverändert. Die nächsten Schritte werden wir mit dem Umzug machen.

STANDARD: Gibt's Synergien mit der "Presse"?

Gasser: Im Backoffice haben wir schon 80 Prozent unserer Synergien gehoben. Die übrigen 20 kommen mit dem Umzug.

STANDARD: Und redaktionell?

Gasser: Ich glaube fest an die Eigenständigkeit der Marken und eine klare inhaltliche Positionierung und Abgrenzung. Ich halte nichts von Bauchladen-Redaktionen. (Harald Fidler/Online-Langfassung/DER STANDARD/Printausgabe, 18.6.2010)