Fremd sein im eigenen Land: Die kärntnerisch-slowenische Theatergruppe des Kulturvereins SPD Danica ist mit "Koros-ko kolo" Gast beim Schülertheatertreffen.

 

Foto: SPD Danica

Annette und Peter Raffalt sind Regisseurin ("Der Zauberer von Oz") und Regisseur ("Krankheit der Jugend", "Parzival / Short Cut") am Burgtheater und leiten die Jugendplattform "Junge Burg". Sie haben das erste Schülertheatertreffen am Haus organisiert (23.-26. Juni), bei dem sieben Gruppen um einen von einer Jury vergebenen TheaterOskar (Statue plus € 1250,-) antreten. Das nächste Schülertheatertreffen wird von 22. bis 25. Juni 2011 stattfinden.

 

Fotos: Werner

Von Deutschlandsberg nach St. Primus: Am 23. Juni geht's los. Margarete Affenzeller traf Annette und Peter Raffalt zum Gespräch.

Standard: Sie haben Schülertheatertreffen bereits in Bochum und Zürich organisiert. Was war der Ausgangspunkt in Wien?

Peter Raffalt: Das Modell war bisher immer erfolgreich. Die Besonderheit hier ist, dass es bundesweit ausgeschrieben wird. Das ist der Reiz. So groß war es noch nie.

Standard: Apropos bundesweit: Wie weit nach Westen haben Sie die Theaterreisen geführt?

Peter Raffalt: Weit. Nach Innsbruck, Telfs, Wörgl. Eine Innsbrucker Gruppe wurde auch eingeladen.

Standard: Was definiert Schülertheater? Sind nur Schüler beteiligt?

Annette Raffalt: Es geht darum, dass Schüler (ab 16 Jahren) zeigen, was sie bewegt. Das steht meist unter der Leitung eines Lehrers. Und manches Mal spielen auch Lehrer mit. So pingelig sind wir da nicht. Auch Eltern oder jüngere Schüler waren schon dabei.

Standard: Was sind die Themen? Ähneln sie einander?

Annette Raffalt: Ganz und gar nicht! Das Erstaunliche war, dass sich österreichische Schüler weitaus mehr mit sozialkritischen Themen auseinandersetzen als jene in Deutschland oder der Schweiz. Hier haben wir jetzt keinen einzigen Klassiker eingeladen.

Standard: Von 46 Bewerbungen haben Sie sieben Gruppen ausgewählt. Welche Kriterien hatten Sie?

Peter Raffalt: Schön für so ein Festival ist es natürlich, wenn man eine größere Bandbreite erreicht, also von Klassikern bis zu Selbstgeschriebenem. Es war nun aber so, dass die selbstverfassten Stücke viel besser waren. In der Schweiz hatten wir schwere Griechen - zwei Stunden Aischylos, Chöre und Orchester.

Standard: Warum interessieren sich österreichische Schüler mehr für sozialkritische Themen? Weniger bildungsbürgerliche Lehrer?

Annette Raffalt: Das werden wir herausfinden, sobald wir die Aufführungsgespräche haben. Momentan sieht es so aus, als ob sich die Schülerinnen und Schüler die Stücke ganz frei wählen könnten. In der Schweiz scheint das eher von den Lehrern zu kommen.

Standard: Fortsetzung des Unterrichts versus Selbstinitiative?

Annette Raffalt: Wir haben ja nicht nur Schulgruppen, sondern auch Gruppen aus der freien Schülertheaterszene, auch Jugendclubs sind dabei. Es ist unsere Absicht, unterschiedliche Gruppen und unterschiedliche Arbeitsmethoden zusammenzuführen.

Peter Raffalt: Also ich habe den Eindruck, dass hier in Österreich die Schüler in die Stückwahl viel mehr eingebunden sind. Denn, ehrlich gesagt, es gibt keinen sechzehnjährigen Schüler, der sagt: "Ich möchte jetzt mal einen Aischylos spielen." Das glaub ich einfach nicht. Da will vermutlich ein Lehrer seinen Deutschunterricht ausstaffieren oder sich einen Inszenierungstraum erfüllen.

Standard: Was hat Sie auf Ihrer Reise durch Österreich überrascht?

Peter Raffalt: Am allermeisten eine Produktion, die wir leider nicht einladen konnten, aus Deutschlandsberg in der Steiermark: Acht junge Menschen stehen auf der Bühne, alle ganz gleich angezogen, um Uniformität zu signalisieren, den Labelzwang. Und dann beginnt das zu bröckeln, indem sie sich Stück für Stück ausziehen und ihre Individualität freilegen. Eine ganz einfache, aber ungeheuer gute und ergreifende Idee.

Standard: Ein erstaunlich performativer Zugang. Theater gilt gerade im Schulkontext vorwiegend als Angebinde der Literatur.

Peter Raffalt: Vielleicht weil Österreich eben eine Theaternation ist. Bei vielen Bewerbern sind aber auch die Bühnengegebenheiten nicht so, dass sie nach einem großen Shakespeare schreien.

Standard: Gibt es Anknüpfungen ans zeitgenössische Theater?

Annette Raffalt: Die Theaterpädagogen oder Lehrer, die inszeniert haben - und es waren meist Erwachsene -, die holen sich schon Input aus dem gegenwärtigen Theater. Also die Formen sind zeitgenössisch, aber die Ideen sind vollkommen urwüchsig. Etwa eine kärntnerisch-slowenische Gruppe, die in ihrem Stück Korosko kolo - Kärntner Reigen ihre ureigensten Anliegen vertritt und auf sehr einnehmende Weise Gleichberechtigung zwischen Kärntnern und Slowenen einfordert.

Standard: Gibt es für Sie bei Schülertheater generell andere Kriterien als im "Erwachsenentheater"?

Peter Raffalt: Insofern, als man von Laien nicht die Professionalität erwarten kann, die man von ausgebildeten Schauspielern erwartet. Für mich wichtig ist die Authentizität, die Glaubwürdigkeit einer Darbietung. Und die haben Laien ja in einem besonderen Maß, weil es ihr innerstes Anliegen ist, auf der Bühne zu stehen.

Standard: Ist das Burgtheater allen Jugendlichen ein Begriff, bzw. war unterwegs in Österreich die Distanz zum Burgtheater spürbar?

Annette Raffalt: Die war spürbar. Von Deutschlandsberg ging's einmal nachts die steirischen Berge hinauf, immer weiter hinauf und wieder hinunter bis nach St. Primus in Kärnten. Das ist kein Abendausflug, aber das heißt nicht, dass das Burgtheater nicht erreichbar ist. Alle Jugendlichen, mit denen wir Kontakt hatten, kannten das Burgtheater. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.6.2010)