Kim Jong-hun, der möglicherweise 1956 geboren wurde, kann ein richtiges Energiebündel sein. Nordkoreas Teamchef, der darauf besteht, dass sein Land Korea DPR genannt wird (sonst gibt es einen bösen Blick und eine Ermahnung), erinnerte während der Partie im Ellis Park gegen Brasilien fast an Diego Maradona.

Was für ein Engagement! Keine Sekunde ist er auf der Bank gesessen. Er hat mit den Händen gefuchtelt, die Faust geballt. Mal hat er glücklich dreingeschaut (beim Tor), dann wieder verbittert (bei den beiden Gegentoren). Auf ein sanftes Lächeln folgte ein wunderbar gezogenes Schnoferl, der Mann verbarg seine Gefühle nicht. Bis zur Pressekonferenz nach dem Spiel.

Da war Kim Jong-hun wieder so, wie sich der kleine Maxi den bösen Kommunisten, der seinen großen Führer Kim Jong-il immer nur glücklich machen will, vorstellt. Keine Kameras, keine Tonbandmitschnitte. Jeder, der eine Frage stellte, musste seine Namen preisgeben. Das gehört sich zwar prinzipiell, ist im Fußball aber unüblich. Die anderen 31 WM-Trainer schert es einen Dreck, wer wissen möchte, warum gerade jener und nicht ein anderer Spieler ausgetauscht wurde.

Der Verdacht liegt nahe, dass der große Führer mögliche Frechdachse oder gar Regimekritiker auskundschaften lässt. Aber vielleicht ist das auch nur eine billige demokratische Wahnvorstellung. Abgesehen davon ist ein Visum für Korea DPR in nur ganz raren Fällen die Erfüllung eines Lebenstraumes. Kim Jong-hun ist in Südafrika jedenfalls Kult.

Er spricht, ohne die Mundwinkel zu verziehen, es ist ein begnadetes Leiern. Seine Antworten dauern bis zu dreieinhalb Minuten, da haben weder Punkt noch Beistrich Platz. Eine wirklich nur kurze Zusammenfassung: "Wir mussten leider bis zum Ende auf den Lohn warten. In der ersten Halbzeit haben meine Spieler meinen Plan sehr gut ausgeführt. Ob Brasilien über außen oder von vorne angegriffen hat oder aus der Ferne geschossen hat, wir haben sie immer abgewehrt." In der zweiten Halbzeit wurde zweimal halt nicht abgewehrt. Kim Jong-hun: "Wir müssen besser werden und wollen die nächste Runde erreichen." Die staatliche Nachrichtenzentrale KCNA war übrigens zufrieden. "Es war ein erbitterter Austausch zwischen Defensive und Offensive. Trotz des Rückstandes haben die Spieler nie den Glauben an sich verloren" , wurde der Nation mitgeteilt. Der Schluss liegt also nahe, dass der große Führer mit der Leistung leben konnte.

Stürmer Jong Tae-se konnte das nicht. Er kickt in Japan, ist der Star des Teams, wird "Wayne Rooney Asiens" geheißen. Der 26-Jährige weinte beim Abspielen der Hymne herzzerreißend, ihn hat es richtig durchgebeutelt. Der große Führer könnte gerührt gewesen sein. Nach der 1:2-Niederlage geißelte sich Jong Tae-se selbst: "Ich habe nicht mein Bestes gegeben, sondern mein Land im Stich gelassen. Wir müssen jetzt die beiden Spiele gegen Portugal und die Elfenbeinküste gewinnen. Das sind wir unserem Staat schuldig." Danach wurde er von einem Offiziellen aus der Mixed Zone gezerrt. Der große Führer könnte das befohlen haben.

Fakt ist: Jong Tae-se wäre in der österreichischen Liga eine einzige Verschwendung. Die Nordkoreaner spielen generell, was sie können, verteidigen, verteidigen, verteidigen. Kein Einziger leidet unter Selbstüberschätzung, da war weit und breit kein Paul Scharner zu orten. Insofern muss Kim Jong-hun ein ganz passabler Trainer sein. Sollte der große Führer tatsächlich Einfluss auf die Aufstellung und die Taktik genommen haben, dann ist eben er der ganz passable Trainer.

Und da waren noch die Brasilianer. Und sie waren mäßig. Kaká dürfte tatsächlich in einem Formtief stecken, Trainer Carlos Dunga sagte: "Wir müssen mehr bieten und effizienter sein. Das erste Spiel ist eben immer schwierig." Maicon, der aus unmöglichem Winkel das 1:0 erzielte, hat übrigens auch geweint. Das Tor hat er, der fantasielose Kerl, nicht dem Staat, sondern seiner Frau gewidmet. "Wir können Weltmeister werden." Korea DPR wird die Vorrunde wohl kaum überstehen. (Christian Hackl aus Johannesburg, DER STANDARD, Printausgabe, Donnerstag, 17. Juni 2010)