Strassburg - EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn sieht die Gefahren der Krise "noch nicht hinter uns". Vor dem EU-Parlament in Strassburg sagte Rehn am Mittwoch, die Wirtschaft erhole sich zwar und gewinne an Schwung, doch stehe sie immer noch auf schwachen Füßen und die Probleme an den Märkten könnten dazu führen, die "Erholung noch aus dem Gleis zu werfen". Deswegen sei es "höchste Zeit, eine Wirtschaftsregierung in der EU zu gestalten".

Und es sei auch höchste Zeit, dass der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am morgigen Donnerstag "wirklich etwas bringt" und Ergebnisse vorlege. Sowohl der EU-Gipfel als auch die G-20 sollen sich "ihrer Zeit würdig erweisen und in diesem kritischen Moment tatsächlich etwas leisten", so Rehn.

Wirtschaftsregierung

Um für das Krisenmanagement ein funktionierendes System zu haben, sei es notwendig, eine präventive Haushaltsführung im Rahmen einer Wirtschaftsregierung zu haben, um die Probleme an der Wurzel packen zu können. Rehn verlangte einen "echten Schritt nach vorn". Es gehe darum, den Derivativmarkt zu reformieren, die "starke Botschaft aus Toronto" sei in Richtung Bankenabgabe gegangen, noch keinen Konsens habe man leider bei der Finanztransaktionssteuer erreicht. Grundsätzliche Einigung gebe es aber darin, eine Belastungsteilung zu entwerfen. "Der öffentliche Sektor soll nicht die Kosten tragen, wenn der Finanzsektor versagt".

Der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas sieht im EU-Gipfel am Donnerstag einen "Tag der Entscheidung". Es gehe um die Frage, ob man künftig mehr oder weniger Europa wolle, wobei er ein starkes Auftreten von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso forderte und dem "Intergouvernementalismus" von Frankreich und Deutschland eine Absage erteilte. Der SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda assistierte, dass es sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nikolas Sarkozy zu einfach machten, wenn sie eine Europäische Wirtschaftsregierung nur im Europäischen Rat verankern wollten. Auch die Kommission habe eine wichtige Rolle zu spielen, ebenso wie die Euro-Gruppe. Und es müsse effiziente Regeln für den Finanzsektor geben, sonst bestimmen die Spekulanten das Geschehen.

Regulierung der Finanzmärkte zu langsam

Die bisherigen Maßnahmen der EU zur Regulierung der Finanzmärkte hat Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) in Hinblick auf den Gipfel kritisch bewertet. Im EU-Hauptausschuss des Nationalrates erklärte Faymann am Mittwoch laut Parlamentskorrespondenz, er unterstütze alles, was die Kommission vorbereitet habe, man lasse sich jedoch viel zu viel Zeit, um Schritte zu setzen.

Faymann würde auch bei der Bankenabgabe und Transaktionssteuer eine EU-weite Lösung vorziehen, hält aber ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der Eurozone ebenfalls für sinnvoll. Der Bundeskanzler bekräftigte zugleich, dass seiner Ansicht nach auch nationale Alleingänge zielführend seien. Jedenfalls habe man in den letzten Monaten immer mehr Länder für derartige Schritte gewinnen können, dennoch seien weiterhin einige EU-Staaten strikt dagegen.

Mit der Bankenabgabe sollen die Institute zunächst zur Budgetkonsolidierung beitragen, erläuterte der Kanzler, mittel- und langfristig sei aber ein Regelwerk anzustreben, das sicherstelle, dass die Banken für die Risiken, die sie eingehen, auch gerade stehen. Jedenfalls sollten sämtlich Maßnahmen eine antispekulative Wirkung haben. Notwendig seien auch leistbare Kredite für die Wirtschaft, fügte Faymann hinzu.

Bezüglich der Initiative von Frankreich und Deutschland in Hinblick auf eine Wirtschaftsregierung stellte der Bundeskanzler klar, dass darunter eine engere Kooperation in Richtung von mehr Transparenz, eines Frühwarnsystems und einer eingehenderen Diskussion zu verstehen sei. Keinesfalls würden nationale Kompetenzen abgegeben, auch eine Vertragsänderung sei nicht geplant.

Beim EU-Gipfel soll die europäische Strategie für Beschäftigung und Wachstum "Europa 2020" angenommen werden. (APA)