Den Innenministerin könnte den Zogajs noch immer ein Bleiberecht gewähren, meint Gregor Heißl

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Dass die Zogajs nun ausreisen müssen, ist rein rechtlich kein klarer Fall: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hätte "durchaus anders entscheiden können", ist Verfassungsjurist Gregor Heißl überzeugt. Dass die Innenministerin die Ausweisung mit dem Spruch "Recht muss Recht bleiben" begründet, sei "nicht berechtigt". Er selbst hält die Entscheidung für "menschenrechtlich bedenklich", sagt er im Gespräch mit der Standard.at.

derStandard.at: Der Verfassungsgerichtshof hat die Ausweisung von Arigona Zogaj für rechtens erklärt. Hatte er überhaupt eine andere Wahl?

Gregor Heißl: Ja, der VfGH hätte anders entscheiden können. Er ist in keinster Weise an die Abwägung des Asylgerichtshofs gebunden, sondern muss selbst Für und Wider diskutieren.

derStandard.at: Die VerfassungsrichterInnen hätten also rechtskonform gehandelt, wenn sie eine Ausweisung Arigona Zogajs untersagt hätten?

Heißl: So ist es. Jeder Mensch hat das Recht auf Privat- und Familienleben. Das ist in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert, und steht in Österreich im Verfassungsrang. Eine Ausweisung aus Österreich ist aber ein massiver Eingriff in dieses Recht auf Privat- und Familienleben. So ein Eingriff muss sachlich gerechtfertigt sein: Der VfGH muss hier entscheiden, was schwerer wiegt – das Interesse des Staates an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Regelungen einerseits, oder das persönliche Interesse Arigona Zogajs andererseits.

derStandard.at: Er hat sich für das öffentliche Interesse entschieden.

Heißl: Ja, wobei der VfGH klipp und klar gesagt hat, dass ein hoher Grad an Integration vorliegt. Aber der Knackpunkt war folgender: Der VfGH war der Meinung, dass Arigona Zogaj nie davon ausgehen konnte, in Österreich zu bleiben, weil durch neue Anträge die Aufenthaltsdauer immer hinausgezögert wurde. Aus eben diesem Grund seien die ganzen sozialen Kontakte, die in dieser Zeit entstanden sind, nicht so stark zu werten.

derStandard.at: Der VfGH hätte zu einem anderen Ergebnis kommen können?

Heißl: Absolut. Der VfGH hätte ohne Probleme den privaten Interessen mehr Gewicht beimessen können. Aber offensichtlich wollte er ein Zeichen setzen. Man wollte signalisieren, dass die Fremdengesetze unbedingt eingehalten werden müssen. Er spricht sogar ausdrücklich davon, dass sich bei einem anderen Ergebnis jene Menschen, die sich rechtstreu verhalten haben, benachteiligt fühlen würden.

derStandard.at: In gewisser Weise konnte der VfGH aber gar nicht anders entscheiden: Er hat ja selbst Kriterien definiert, wann jemand aus humanitären Gründen hier bleiben darf. Und eines dieser Kriterien ist eben der „überwiegend rechtmäßige Ausenthalt", der ja bei den Zogajs nicht vorliegt.

Heißl: Es ist aber trotzdem immer eine Interessensabwägung im Einzelfall. Das heißt, der VfGH prüft immer den einzelnen Fall, und da sind sehr viele Aspekte zu prüfen: die Aufenthaltsdauer, das Bestehen eines Familienlebens, der Grad der Integration, Bindungen zum Heimatstaat und so weiter. Aber im Fall Zogaj legt der VfGH besonders viel Wert auf den sicheren Aufenthaltsstatus. Er hätte das durchaus anders sehen können. Der VfGH hat da offensichtlich eine härtere Linie vertreten.

derStandard.at: Angenommen, der VfGH hätte eine Ausweisung für verfassungswidrig erklärt: Wäre das nicht eine Art Präzedenzfall?

Heißl: Ja, genau das lese ich auch heraus. Er wollte signalisieren, dass es so nicht geht, und dass die fremdenrechtlichen Regelungen genau eingehalten werden müssen. Ich habe auch den Eindruck, dass er konkret am Fall Arigona ein Zeichen setzen und einen Präzedenzfall vermeiden wollte. Aber aus menschenrechtlicher Sicht ist die Entscheidung durchaus bedenklich.

derStandard.at: Warum bedenklich?

Heißl: Aus zwei Gründen. Erstens, weil der Minderjährigen die Handlungen des Vaters vorgehalten werden. Zweitens wird die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts viel stärker berücksichtigt als die starke Integration der Betroffenen.

derStandard.at: Hätte die Innenministerin immer noch die Möglichkeit, einen humanitären Aufenthalt zu gewähren?

Heißl: Auf jeden Fall.

derStandard.at: Maria Fekter meint aber, das wäre dann ein „Gnadenakt". Und solche Gnadenakte habe der VfGH verboten.

Heißl: Nein. Der VfGH hat nur bemängelt, dass es kein Antragsrecht auf humanitären Aufenthalt gab. Und dieses Antragsrecht gibt es jetzt. Das Innenministerium könnte das Bleiberecht durchaus gewähren.

derStandard.at: Kann man Betroffenen denn vorwerfen, dass sie mehrere Anträge gestellt haben? Der VfGH tut das indirekt.

Heißl: Der VfGH wertet die Einhaltung der fremdenrechtlichen Vorschriften sehr hoch. Im Fall Zogaj muss man aber sagen, dass beim zweiten Asylantrag schon ganz andere Gründe vorgelegen sind. Da gab es viel stärkere Gründe, die eine Ausweisung als grundrechtlich bedenklich erschienen ließen. Die neue Antragsstellung war also durchaus gerechtfertigt.

derStandard.at: Sie würden der Innenministerin also widersprechen, wenn sie den Zogajs vorwirft, die Behörden mit Anträgen gleichsam überschwemmt zu haben?

Heißl: Ja. Schließlich hat sich der VfGH erst jetzt zum allerersten Mal mit den inhaltlichen Gründen des Privat- und Familienlebens der Arigona Zogaj auseinander gesetzt. In den früheren Anträgen ist es meistens um formale Dinge gegangen. Es ist rechtsstaatlich überhaupt nicht bedenklich, dass der zweite Asylantrag gestellt worden ist.

derStandard.at: Was halten Sie von Maria Fekters Leitspruch „Recht muss Recht bleiben"?

Heißl: Dieser Satz ist im konkreten Fall nicht berechtigt. Der Verfassungsgerichtshof hätte durchaus sagen können, dass die persönlichen Interessen von Arigona Zogaj überwiegen, und dass sie deshalb in Österreich bleiben muss. Das wäre rechtlich möglich gewesen. Auch das Innenministerium hätte ohne Probleme einen humanitären Aufenthalt gewähren können. (Maria Sterkl, derStandard.at, 16.6.2010)