Wien - "Wir sind unverschämt glücklich": Ibsens Nora (María Figueras) und Ehemann Helmer/Jorge (Carlos Portaluppi) haben sich gerade Szenen eine Ehe im Kino angesehen. Wie eine Folie hat Regisseur Daniel Veronese in seinem Festwochen-Gastspiel El desarollo de la civilización venidera - Entwicklung einer künftigen Zivilisation den Film über das Drama gelegt. Nora und Jorge leben im modernen Buenos Aires; Dr. Rank wurde aus geschlechtsökonomischen Gründen in Lebefrau Berta (Ana Garibaldi) verwandelt.

"Die Zerstörung einer Ehe, von der Ruhe des anfänglichen Glücks bis hin zur Trennung. Eifersucht, Täuschung, Hass, Versöhnung", beschreibt Nora ihr und Witwe Linde / Cristina (Mara Bestelli) die Handlung des Films. "Für mich alles ein bisschen langsam."

In ihrer karg eingerichteten Stadtwohnung, lebensecht wie ein Puppenhaus, befeuern sich Nora und Jorge mit spanischen Salven. Berta und Cristina sind meist nur Zuschauerinnen, denen Jorge ab und an wie Kindern die Türe weist. Jorge, der vernünftige, liebende Ehemann, entpuppt sich bald als paternalistischer Widerling. Nora ist sein "Püppchen", sein "nasser Vogel". María Figueras spielt eine Kindfrau, lässt sie (oft gleichzeitig) tanzen, lachen und weinen. Ihre Lebensfreude überwindet die Distanz zum Zuschauer mühelos, ihr Leid geht schmerzhaft nahe.

Die (wider Erwarten kaum störende) Übertitelung der Liebesschwüre und Grausamkeiten kommt einer gnadenlosen Sektion gleich: Diese beiden, die sich doch "vergöttern" - sie sind Fremde. Nicht "der Mann" ist schuld, dass "die Frau" im Puppenhaus gefangen ist. Beide sind sie eingesperrt, in ihren Rollen, in den Erwartungen der Gesellschaft und des Partners. Jorge schließt die Tür ab: Die Puppenstadtwohnung wird zum Gefängnis.

Ibsens nordische Kühle trifft auf lateinamerikanisches Heißblut und Spielfreude. Der Applaus endet lange nicht - zu Recht. (Andrea Heinz/DER STANDARD, Printausgabe, 16. 6. 2010)