Wien - Patrick Pulsinger mag während des Interviews zwar hastig und nebenher eine mediokre Berner Wurst mit kalten Pommes in sich hineinstopfen. Wir haben nicht ewig Zeit. Pressetermine dienen derzeit der Nahrungsaufnahme ebenso wie für Telefonate mit frustrierten Paketzustellern und einer kurzen Fotosession ("Geht ganz schnell, oder?" ). Wenn es um den Beruf und die Berufung geht, ist der Mann aber wesentlich ruhiger und lässt die Zeit für statt gegen sich arbeiten.
Patrick Pulsinger: "Ein studierter Jazzer wird sich beim Erstkontakt mit Minimal-Techno wahrscheinlich denken: Da hört man doch nur drei banale Computer-Sounds und einen einfachen geraden Beat. Für jemanden, der sich nicht mit Jazz beschäftigt, klingt andererseits improvisierte Musik schlichtweg wie Gedudel. Was soll das?! Was die können, kann ich auch. Eben nicht! Viele Musiker wollen sich nicht mit ihnen fremden Klangwelten beschäftigen. Nach meinen Anfängen im Techno versuche ich beides in meine Arbeit einfließen zu lassen. Seit zehn Jahren beschäftige ich mich nun auch intensiv mit der Klangsprache von Improvisateuren, weil ich in dieser Zwischenwelt eben gerne intensive Forschung betreibe."
Der 1970 in der DDR geborene Wiener Produzent und DJ Patrick Pulsinger verbrachte bis 1988 nicht nur sein halbes Leben in einem völlig anderen, heute fremden gesellschaftlichen Koordinatensystem. Auch musikalisch gilt der 40-jährige Workaholic als Wanderer zwischen den Welten.
Nach einem Ausflug ins New York der frühen 1990er-Jahre produzierte Pulsinger auf dem gemeinsam mit Erdem Tunakan gegründeten Techno- und Elektronik-Label Cheap Records bis 2002 wichtige Platten von Stars des Genres wie Robert Hood, Christopher Just, Susanne Brokesch oder Mika Vaino und Techno-Crooner Louie Austen. Sein 1995 erschienenes Soloalbum "Porno" gilt heute als eines der zentralen Techno-Statements überhaupt. Ruppige, minimalistische Maschinenmusik, produziert auf alten analogen Synthesizern und Drum-Machines, die bald die Witterung von Jazz aufnahmen.
Projekte und Kollaborationen mit experimentellen Musikern, etwa unter Signets wie IO, Showroom Recordings oder Sluts 'n' Strings 909, und diverse Remix-Aufträge von Leuten wie Justice, Grace Jones oder den Pet Shop Boys folgten. Zwischendurch jettete Pulsinger um die Welt und legte in den Clubs Platten auf.
2002 hatte er genug. Pulsinger nahm das Tempo heraus, stieg aus Cheap Records aus und übernahm ein bis dato hauptsächlich bei Jazzern bekanntes Tonstudio in Wien: "Als Interpret muss man bis 60 auf der Bühne stehen. Als Produzent sagt man, Freunde, macht ihr das, ich schau im Hintergrund, dass der Sound geil wird. Ich wollte schauen, was passiert, wenn man nicht jedes Wochenende reisen muss. Im Studio bin ich am liebsten, und ich bekam sehr gute Aufträge. Die Euphorie war da, ich konnte sehr viel experimentieren und dazulernen."
Zünftig technoid
Zu den Kunden zählten seitdem heimische Acts wie Bulbul oder Trio Exklusiv und internationale Künstler wie Patrick Wolf oder DJ Hell. Zuletzt produzierte Pulsinger das im Herbst erscheinende neue Album der queeren New Yorker Neo-Disco-Könige Hercules And Love Affair, die vor zwei Jahren mit Sänger Antony und der Hymne "Blindness" einen Welthit landeten. Ausschlaggebend für das Engagement Pulsingers war sein in Fachkreisen geschätzter "Early-Mid-Nineties-Sound": Dieser erinnert, mit der Hand eingespielt und ohne Sequencer, unsauber geschnitten, oft zart verschleppt und zünftig technoid an die gute alte Zeit: "Jeder Teenie mit Laptop kann heute jemandem, der nicht singen kann, zu einer passablen Performance verhelfen. Es geht aber um Zwischentöne, Reibungen. Da muss man ansetzen. Zwischen patschert und sympathisch tut sich ein weites Feld auf, auf dem man auf keine epilierende Software zurückgreifen kann. Fragilität und Musikalität sind gefragt, offenes Arbeiten. Und Erfahrung. Das sind Qualitäten, mit denen sich rein elektronische Musik immer schwertut."
Neben der aktuellen Produktionsarbeit für das neue Wiener Wunder-Trio ElektroGuzzi, das im Rockformat mit Gitarre tanzbarem Techno nachspürt, veröffentlicht Patrick Pulsinger jetzt auch wieder ein Soloalbum. Mit Gästen wie eben ElektroGuzzi, Jazztrompeter Franz Hautzinger, Experimentalist Christian Fennesz und den Gastsängerinnen Teresa Rotschopf von Bunny Lake und G. Rizo spannt Pulsinger auf "Impassive Skies" dabei einen faszinierenden wie souveränen Klangbogen vom klassischen Detroit-Techno zurück zu Fusion und Funk von Miles Davis und Bitches Brew, webt Dub-Einflüsse ein, besucht Ambient-Meditationsräume und geht in die Disco, um Popsongs anzustimmen. Ein Ereignis.
Pulsinger: "Ich bin der kleinste gemeinsame Nenner auf meinem Album. Und ich will den Leuten die Birne volljazzen. Etwas Besseres als mich kriege ich nicht." (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.6.2010)