Richard Jenkins (vorne) entdeckt in sich den Rhythmus

Foto: Polyfilm

Wien - Das Grundmotiv von Tom McCarthys Filmdrama "Ein Sommer in New York" / "The Visitor" könnte aus einem pädagogischen Band über gedeihliches multikulturelles Miteinander entlehnt sein: Weißer Wirtschaftsprofessor, vereinsamt und kontaktscheu, trifft in eigener Wohnung auf syrischen Musiker und senegalesische Frau, beide als U-Boote im Land. Gewährt ihnen nach kurzem Schock Asyl, steckt sich bald an der Lebensfreude des Mannes (Trommler!) an und überwindet auf diesem Weg letztlich eigene innere Emigration.

Erweckungsgeschichten wie diese täuschen mit sentimentalem Druck über ihre eindimensionale Stoßrichtung hinweg. Anstatt sich dem strapaziösen Alltag von Migranten direkt zu widmen, wird die Perspektive an einen Stellvertreter übergeben, an dem die Vorzüge des interkulturellen Miteinanders und gesellschaftliche Beschränktheiten (in Amerika nach 9/11) verhandelt werden. Die liberale Botschaft ist so einfach wie tendenziös: Fremde Kultur, an der wir selbst partizipieren können, birgt heilsame Kräfte!

Ende der Lethargie

Staatliche Institutionen, die gegen die neuen Freunde aktiv werden, gehören in "Ein Sommer in New York" folglich zum Konfliktpersonal. Die Nagelprobe des Helden Walter Vale besteht nicht nur darin, aus der eigenen Lethargie herauszutreten und Freiheit zu gewähren, er soll wieder Verantwortung übernehmen. "Six Feet Under"-Star Richard Jenkins, einer der verlässlichsten Nebendarsteller des US-Kinos, verkörpert ihn in einer Oscar-nominierten Rolle als Mann mit unfassbar traurigem Gesicht, in dem die Lebensgeister nur auf ein Zeichen warten.

Es liegt an den Schauspielern, an Jenkins und vor allem an der Israelin Hiam Abbass, die die Mutter des später inhaftierten Trommlers spielt, dass das insgesamt zu geglättete Sozialdrama noch an einigen Nuancen gewinnt. Zwischen den beiden vom Leben auf unterschiedliche Weise gegerbten Menschen kommt es zu einer in verhaltenen Gesten verfassten Annäherung, die McCarthy zum Glück auch in Andeutungen belässt. Hier übt sich "Ein Sommer in New York" in einer Dezenz, die er an anderen Stellen durch seinen Überrumpelungshumanismus vermissen lässt. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.6.2010)