Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Archiv

Seit zwei Jahren arbeitet Brigitte Ratzer nun schon als Assistentin am Institut für Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Wien. Eineinhalb Jahre läuft ihr Vertrag noch. Wie es danach weitergeht, weiß sie aber nicht. Denn eigentlich hat sie "genug davon, als Feigenblatt missbraucht zu werden": Gesellschaftsrelevante Fragestellungen würden in der Chemie wie in den meisten Naturwissenschaften und Technikwissenschaften nicht ernst genommen und in Freifächer abgeschoben. Wie auch ihre eigenen Vorlesungen über Frauen und Technik oder Bioethik und biomedizinische Technikfolgenabschätzung.

Dass Brigitte Ratzer begonnen hat, sich mit der Schnittstelle zwischen Technik und Gesellschaft zu beschäftigen, resultierte aus ihrer Frustration über das Chemiestudium: "Ich begann 1984 zu studieren, mitten in der Auseinandersetzung um die Donauauen in Hainburg und dem Entstehen einer ökologischen Bewegung. Ich wollte mit dem Wissen aus dem Chemiestudium etwas zum Umweltschutz beitragen. Solche Fragen wurden aber kaum behandelt", erklärt sie. Die Chemie vermittle "Inselwissen aus isolierten Fachgebieten, das nur wenig mit unserer Lebenswelt zu tun hat". Gegen Ende des Studiums reizte sie die Freifächer aus, um über die engen Grenzen hinauszuschauen und sich mit dem Verhältnis zwischen Technik und Gesellschaft zu beschäftigen. Ihr damaliger Professor und heutiger Institutsvorstand, Manfred Schmutzer, bot ihr einen Auftrag als externe Lektorin an, danach widmete sie sich in einem interdisziplinären Projekt der Medizintechnik. Feminismus und Bioethik sind die beiden Schwerpunkte, auf die sie sich nach Abschluss ihrer Dissertation über ein naturwissenschaftlich-theoretisches Thema jetzt wieder verstärkt konzentrieren kann.

Geändert in der naturwissenschaftlichen Ausbildung habe sich seit ihrem Studium nicht viel, beschreibt die 36-jährige Chemikerin. Bei der letzten Studienplanreform vor drei Jahren nahmen nur die Architektur und die Informatik die "Gender-Studies" in den Lehrplan auf: "Nach wie vor absolvieren Techniker und Technikerinnen ein Studium, dessen Lehrplan kein Wissen über soziale und ökologische Aspekte von Technologie verpflichtend integriert."

Dass die Hereinnahme anderer Ansätze schon von den Arbeitsmethoden her nicht immer unproblematisch ist, weiß Ratzer aus ihren eigenen Projekten: "Die Naturwissenschaften gehen davon aus, dass es eine richtige Antwort auf eine Frage gibt. Die Sozialwissenschaften hingegen bieten mehrere gleichberechtigte Zugänge an." Mit feministischen Zugängen "sitzt man zwischen allen Stühlen", sagt Ratzer: In der konkreten Anwendung müssten sie immer wieder für die Erfordernisse naturwissenschaftlichen Arbeitens zugeschnitten werden.

Die Feigenblatt-Funktion liegt Brigitte Ratzer nicht, das merkt man auch an ihren übrigen Beschäftigungen: Ob sie nun die Zeitschrift Koryphäe, ein Medium für feministische Naturwissenschaft und Technik, herausgibt oder im Team mit Freundinnen Ideen für ein Frauenwohnprojekt in Wien entwickelt - sie sagt, wofür sie steht. Weitere heiße Diskussionen an der Uni sind ihr sicher. (Elke Ziegler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. - 21. 4. 2003)