Die Kammer der Architekten bröckelt. Die wenigen, die sie noch behausen, wollen in Panik ihren letzten Herold von den Zinnen stürzen: Das erfolgreiche Branchenblatt konstruktiv soll seine progressive Blattlinie mäßigen. Zank und Hader eskalieren.


Die Berufsvertretung der Architekten und Architektinnen ist, man kann sich noch so sehr um Schönung bemühen, dieser Tage ein Bild des Jammers. Ständige interne Streitigkeiten erodieren das komplizierte und wichtige Konstrukt, das Ingenieure und Architekten unter einem Dach eint.

Der jüngste Steinschlag dürfte auch der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben, denn er erfasst soeben das im Kammereigentum stehende Branchenblatt konstruktiv. Im Gegensatz zu Magazinen anderer Berufsstände zeichnet sich die seit sieben Jahren erscheinende Publikation durch fundierte und kurzweilige Berichterstattung aus, journalistisch gut aufbereitet, von immerhin 33.000 Leuten gelesen und von hervorragenden Mitarbeitern geschrieben. Einer von ihnen ist zum Beispiel die Instanz Alfred Worm, oder besser: war die Instanz Alfred Worm, denn der hat gerade seine Mitarbeit aufgekündigt.

Zur Vorgeschichte: Nachdem die Kammerwahlen des vergangenen Jahres eine neue Führungsmannschaft installiert hatten, an deren Spitze nun Robert Krapfenbauer als Bundeskammerpräsident steht, erwartete man sich hoffnungsfroh tatkräftige Lösungen diverser Probleme, wie zum Beispiel die Sanierung der maroden Pensionskasse, von Insidern Witwen-und Waisenfonds genannt. Die Jungen hofften dagegen auf eine Erleichterung des Berufseinstiegs, zum Beispiel in Form anfangs etwas ermäßigter Kammergebühren. Denn exorbitante Unkosten, die von den Mitgliedern zu berappen sind, treiben viele Neueinsteiger und auch etablierte Planer in die wohlfeileren Verbände des EU-weiten Auslandes. Die Kammer dünnt aus, die Mitglieder zerstreuen sich, das Konstrukt droht unfinanzierbar zu werden, eine geeinte, schlagkräftige Branchenvertretung ist weiterhin nicht in Sicht.

Rundherum einiges an Renovierungsarbeit also, doch einer der ersten Schritte, den die Kämmerlinge setzten, war es, Ortfried Friedreich, den Geschäftsführer des hauseigenen BIK-Verlages, abzusetzen. Da nutzte es nichts, wenn der Präsident der Länderkammer Tirols und Vorarlbergs, Helmut Reitter, schriftlich eindringlich vor diesem Schritt warnte und deponierte, dass Friedreich immerhin im Jahr 2002 "erstmals eine Umkehr der bedenklichen finanziellen Tendenzen bewirkt" hatte. Offenbar waren andere Faktoren schlagkräftiger und die Blattlinie zu progressiv. Präsident Krapfenbauer (der für den STANDARD nicht zu erreichen war), wolle, so Kammer-Insider, "einen Mann des Vertrauens" in dieser Schlüsselposition sitzen haben.

Per Kammervorstandsbeschluss musste Friedreich gehen, die Redaktion wurde zunehmend auch inhaltlich unter Druck gesetzt, und als im vorletzten Heft ein Interview mit den mittlerweile international renommierten Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy erschien (von STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl geführt), eskalierte die Situation:

Kollege Thomas Reinthaller - per Kammerbeschluss übrigens zur Prüfung des Verlages und einer eventuellen Neukonzeption eingeladen - fühlte sich bemüßigt, in einem Leserbrief Anklage zu führen: Jabornegg & Pálffy seien keine Kammermitglieder, es sei "unverständlich, dass in einer Zeitschrift, die mit dem Geld der Kammermitglieder finanziert wird, Werbung für Architekten gemacht wird, die nicht unserer Kammer angehören".

In der nun aktuell vorliegenden Ausgabe betrat mit einem Mal der auf Lebenszeit zum Ehrenpräsidenten ernannte greise Herbert Müller-Hartburg die Leserbrieftribüne, um sich "zu den Artikeln Alfred Worms" zu äußern. Worm, der von Beruf nicht Diplomat, sondern Spitzenjournalist ist, hatte sich zuvor in seiner konstruktiv-Kolumne wenig lobend über das architektonische Engagement der vergangenen Regierung geäußert, die bekanntlich nunmehr fortgesetzt wird. Sie habe "Nichtverantwortung" getragen, "Schwarz-Blau-Zwei" ließe "noch Schlimmeres befürchten".

Töne wie diese, so der Altpräsident empört, seien "enorm deutlich üble Nachrede und gekonnte parteipolitische Polemik". Und: "Nun sind die Organe der Kammer gebeten, die Redaktion an die Leine zu nehmen." Alfred Worms Konter kam prompt, gelassen und ebenfalls schriftlich: Er denke "nicht einmal im Traum" daran, "Opportunismus zum Wesen journalistischen Handelns zu machen" und wolle sich damit von den LeserInnen des konstruktiv verabschieden.

Dem Standard gegenüber meinte er: "Es ist korrekt und tadellos, wenn ideologisch anders gesinnte Kammerfunktionäre das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Es ist ihr gutes Recht, nunmehr zu schreiben, was die Regierung diktiert." Die Zeitung werde - in an die Leine genommenem Zustand - "vor die Hunde gehen", und: "Eine derartige Einschränkung der Medienfreiheit ist mir seit Jahrzehnten nicht mehr untergekommen."

konstruktiv-Chefredakteur Paul Vécsei will sich zu den Vorgängen derweilen nicht äußern: "Ich stehe nicht gerne in negativem Zusammenhang mit meiner Zeitung in anderen Zeitungen." Dennoch scheint auch er sich im Steinschlag zu befinden: Erst vor kurzem expedierte man ihn nach Abstimmung aus einer Sitzung der Bundessektion der Architekten, mit der Begründung, er sei "kein Freund der Architekten". Georg Pendl, Bundesvorsitzender der Sektion Architekten, entschuldigte sich schriftlich bei Vécsei für die Aktion und bezeichnet die "Vorgangs- und Denkweise als reaktionär und den Versuch, gleichsam ständestaatliche Muster zu etablieren".

Langsam stellt sich die Frage, wer überhaupt noch Freund der Architekten ist, wenn die Architekten selbst vor allem damit beschäftigt sind, ihr eigener Feind zu sein. Während die EU die völlige Liberalisierung der freien Berufe fordert, verschärfter Wettbewerb herrscht, das Bauwesen stagniert, die Gebührenordnung chronisch unterboten wird, während Schnell-Schnell-Investorentum fern jeglicher Architektur allerorten Raum greift und - wie bereits erwähnt - potenzielle Kammermitglieder in Scharen in die Länderkammern Italiens und Deutschlands flüchten, stürzen die Kammerfunktionäre offenbar blindwütig einen ihrer erfolgreichsten Imageträger über die Zinnen.

Die Kammer läuft Gefahr, zum Altherrenclub der Vorgestrigkeit zu werden. Die Demontage des konstruktiv als weitestgehend unabhängiges Medium, das - noch - über Architektenkreise hinaus gelesen wird, ist nur ein Indiz dafür. Allerdings eines mit Breitenwirkung. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 19./20.4.2003)