Ein Ballkleid legt sich zu Bett. Während in der Lobby leuchtende Wolken von der Decke baumeln, sind die Zierkissen und Luster im sogenannten Sweet Room zum Anbeißen.

Foto: Maison Moschino

Informationen:
www.maisonmoschino.com
www.designhotels.com

Foto: Maison Moschino

"Entweder musste der Brunnen sehr tief sein, oder sie fiel sehr langsam. Denn sie hatte Zeit genug, sich beim Fallen umzusehen und sich zu wundern, was nun wohl geschehen würde." Nach vielen Augenblicken schlug Alice im Wunderland auf: "Mit einem Male, plump, plump, kam sie auf einen Haufen trockenes Laub und Reisig zu liegen, und der Fall war aus."

Das weltberühmte Kinderbuch des britischen Mathematikers Lewis Carroll diente Rossella Jardini als Inspirationsquelle für ihr Hotel. "Ich wollte ein bezauberndes und entzückendes Märchenland schaffen", sagt die 58-jährige Kreativdirektorin des italienischen Modelabels Moschino. "Die Maison Moschino sollte nicht einfach nur ein Hotel sein, sondern ein Ort, an dem man schon untertags beim Einchecken anfangen kann zu träumen - und nicht nur während des Schlafens in der Nacht. Das ist doch viel zu schade!"

Das passende Objekt war bald gefunden. In der Viale Monte Grappa, nur einen Katzensprung von der Stazione Garibaldi entfernt, wurde ein heruntergekommener und leerstehender Bahnhof zu neuem Leben erweckt. Da, wo einst die ersten Dampflokomotiven Richtung Monza vom Gleis fuhren, verlässt man das altbekannte Mailand nun auf ganz anderem Wege. Der neoklassizistische Palazzo von 1840 wurde renoviert und entführt nun ins Land der schlafenden Ballkleider, der fliegenden Schafe, der kuscheligen Tortenlampions.

Es fängt schon in der Lobby an: Aus einem ledernen Stiefel an der Rezeption wächst eine Glühbirne heraus, das stramme Negligé neben dem Fauteuil entpuppt sich als Stehleuchte, und die Stühle im Restaurantbereich sind festlich in die Abendrobe der letzten Sommerkollektion gehüllt. "Das Leben ist zu kurz, um es langweilig zu gestalten", sagt Barbara Ugolini, Generalmanagerin der im Februar eröffneten Maison. "Mit ein bisschen Surrealismus und einer Prise Humor lebt sich's gleich viel besser."

René Magritte hätte seinen Spaß gehabt, auch in den 65 Zimmern in den Geschoßen darüber. Schwarze Baumstämme räkeln sich um das Bett, andernorts sprießt der Efeu aus den Kästen. Von den Lustern hängen plüschige Muffins und Törtchen aus gehäkeltem Gelee. Und während sich hier mal Schattenbilder, mal träumerische Schnarchgeräusche an die Wand verirren, spannt sich nebenan ein Spinnennetz aus gläsernen Kristallen über Boden und Plafond.

"Manche Leute buchen ein Zimmer bei uns und haben bereits konkrete Vorstellungen, wo genau sie wohnen wollen", erklärt Ugolini. 65 Zimmer gibt es insgesamt, 16 unterschiedliche Themenkonzepte stehen zur Wahl. Natürlich seien manche Sujets gefragter als andere. Zu den Rennern zählen die Märchensuiten und das Zimmer von Alice.

Die Tür mit der Zimmernummer 113 fällt ins Schloss. Kein Zweifel, hier waren die Gebrüder Grimm am Werk: Rotkäppchens Bett verschwindet unter einer Tagesdecke aus üppigem, blumendekoriertem Omastoff, alles ist hübsch drapiert, doch vom kleinen Mädchen mit der roten Kapuze keine Spur. Stattdessen sitzt ein gelassener und sichtlich satt gefressener Kuschelwolf im Bett und harrt seines nächtlichen Herrchens. Auf dass es nicht der Jäger sei!

Im Zimmer nebenan liegt Alices Wunderland. Am Ende des langen Brunnenfalls tummeln sich Teetassen und Nachttischleuchten der Größe XXL. Bei dieser Teezeremonie ist offensichtlich etwas schiefgegangen. So wie auch im Zimmer hinter der märchenumwobenen 104. Spieglein, Spieglein an der Wand, im Handumdrehen der halbe Raum verschwand. Kaum ist die alles entscheidende Frage gestellt, entrücken 50 Prozent der angemieteten Wohnfläche, der Tische und der Lampen auf Nimmerwiedersehen ins Land der Reflexionen. Nur das Bett ist noch ganz. Davon gibt es nun zwei. "Ich gebe zu, das ist ein gestalterischer Kompromiss mit konzeptioneller Schwäche", sagt Ugolini. "Doch wir stehen dazu. Wir wollen ja nicht, dass die Tagträume womöglich noch auf Kosten des Komforts gehen."

In der Früh geht das Träumen weiter. Kurz muss man sich die Augen reiben, wenn das Frühstück, das im Zimmerpreis von 270 Euro aufwärts wohlgemerkt noch nicht inkludiert ist, einem an den Tisch serviert wird. Buffet hin, Teller her, hier wird die morgendliche Nahrung in der Edelvariante eines Schuhkartons serviert. Die Box aus weißem Acrylglas fasst bunte und appetitlich zusammenkomponierte Häppchen aus weißen Mozzarellaherzen und grünem Cappuccino von Basilikum. Chefkoch Moreno Cedroni ist der Mann hinterm Herd.

"Wir sind ein Fashion-Hotel, und das meinen wir wörtlich", sagt Rossella Jardini. "Die Maison Moschino folgt ihrem ganz eigenen Skript. Das Innenleben reflektiert nicht nur den unverwechselbaren Stil unseres Unternehmens, sondern malt das ganz normale, alltägliche Leben mit einem surrealen Pinselstrich an die Wand."

Die Maison Moschino ist für 18 Jahre gepachtet. Während das Furbishment offiziell mit zwei Millionen Euro zu Buche schlug, hüllen sich die Grundstückseigentümer Allianz Global Investors und Fondo RAS Antares bei den Baukosten ins Schweigen. Und wie wird es nach 18 Jahren weitergehen? "Die Frage stellt sich nicht. Der Pachtvertrag wird verlängert und basta!" Barbara Ugolini zupft das plüschige Schokotörtchen zurecht. "Träumen wird man wohl noch dürfen." (Wojciech Czaja/DER STANDARD/Rondo/11.06.2010)