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Ein Rekrut bei der Musterung: Untauglichkeitszeugnis für 10.000 Dollar.

Foto: Reuters/Eduard Kornienko

Die Dedowschtschina, russisch für Herrschaft der Großväter, ist einer der Gründe, warum der Wehrdienst in Russland so unbeliebt ist. In der russischen Armee ist es seit der Zarenzeit üblich, dass Dienstältere die Neueingerückten schikanieren und quälen. Nicht selten enden diese Initiationsriten für die Rekruten mit schweren Verletzungen oder dem Tod.

Die Familien der Einberufenen lassen daher nichts unversucht, um ihren Angehörigen den Dienst in der Armee zu ersparen. Untauglichkeitszeugnisse sind derzeit für ein Schmiergeld von mehr als 10.000 US-Dollar zu erstehen.

Ein neuer Gesetzesentwurf, der diese Woche von der Kreml-nahen Liberaldemokratischen Partei LPDR im russischen Parlament eingebracht wurde, will nun mit dieser gängigen Praxis aufräumen. Einberufene sollen sich künftig mit einer Million Rubel (rund 26.000Euro) vom Armeedienst freikaufen können.

"So ist der Bürger für den Staat von größerem Nutzen, als wenn er gegen seinen Willen zum Armeedienst eingezogen wird", heißt es in dem Gesetzesantrag. Eine derartige Praxis gebe es bereits in Georgien, Kirgistan, Usbekistan, der Türkei, der Mongolei, Griechenland und Albanien. Mit dem eingenommenen Geld soll die Einstellung von Berufssoldaten finanziert werden.

Verfassungsbedenken

Das Verteidigungsministerium hat sich laut der Nachrichtenagentur Interfax gegen den Vorschlag ausgesprochen. Vizeverteidigungsminister Nikolaj Pankow nannte den Gesetzesantrag verfassungswidrig. Um die Bestimmungen des Wehrdienstes zu ändern, reiche ein neues Gesetz nicht aus. Es müsste auch die Verfassung geändert werden, und das sei unwahrscheinlich, sagte Viktor Oserow, der Vorsitzende des Ausschusses für Verteidigung und Sicherheit.

Die russische Armee befindet sich derzeit im größten Umbau ihrer Geschichte. Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow hat sich zum Ziel gesetzt, die alte sowjetische Massenarmee in eine moderne, schlankere Struktur zu bringen, die auf Regionalkonflikte ausgerichtet ist. Dazu sollte bis 2012 die Zahl der Offiziere von 335.000 auf 150.000 Mann mehr als halbiert werden. Insgesamt sollte die Armee von rund 1,2 Millionen auf eine Million Soldaten schrumpfen.

Doch die Reform kommt nur schwer vom Fleck, weil der Widerstand innerhalb der Armee gegen die Umstrukturierung groß ist und zum anderen das Geld fehlt. Der Verteidigungsminister ließ deshalb vor kurzem mit einer ungewöhnlichen Idee aufhorchen: Mithilfe einer Lotterie sollen in den nächsten fünf Jahren rund 30 Milliarden Rubel (etwa 767 Mio. Euro) eingenommen werden, um die Militärreform zu finanzieren. (DER STANDARD, Printausgabe 11.6.2010)