Niko Alm.

Foto: Karola Riegler

Plakate für ein Bordell.

Foto: Alm

Der Zidanesche Werbekopfstoß von bet-at-home, im Replay ausgeführt von gantnerundenzi spült den Werberat wieder einmal, in halbjährlicher Regelmäßigkeit, an die Oberfläche der Fachmedien.

Der folgende Beitrag ist keine Verteidigungsrede für diese Kampagne, sondern Anlassfall um die Notwendigkeit, Legitimation bzw. die öffentliche Rolle eines Werberates zu hinterfragen.

Der Werberat agiert als Schiedsgericht (Selbstdefinition): Eingebrachte Beschwerden werden behandelt, dann erfolgt eine Entscheidung über die ethische Zulässigkeit und der Werberat spricht als Ethikkommission gegebenenfalls eine Empfehlung aus, z. B. eine "Aufforderung zum sofortigen Stopp", wie im Fall von gantnerundenzi/bet-at-home. Für orientierungslose Werber und Medien wird ein Leuchtfeuer abgebrannt auf dass ein gedeihliches Zusammenleben weiterhin möglich ist.

Das klingt doch alles sehr vernünftig.

Aber trotz bester Absichten trägt der Werberat durch seine Existenz und sein Wirken zur "Infantilisierung einer demokratischen Öffentlichkeit" bei, wie es Frank Berberich einem in einem Interview (brand eins 05/2010) in Bezug auf die Zensurpraktiken politischer Korrektheit formuliert hat.

Der Kern dieser Kritik liegt in der Verlagerung für die Verantwortung ethischen Handelns weg von den Akteuren zu einer primär unbeteiligten Instanz. Dieses denkbequeme Abschieben der Verantwortung ist gleichermaßen nachvollziehbar wie problematisch, was ich anhand folgender Punkte aufzeigen will:

1. Die Hauptverantwortung liegt bei Kunden und Agenturen

Wie weit darf Werbung provozieren bzw. wie darf ich erwarten, dass Satire als Provokation empfunden wird? Diese Frage haben im Verlauf der Kreation einige Personen zu stellen. Zunächst einmal dürfen wir davon ausgehen, dass Kunden und beratende Agentur hier selbst einen großen Teil gewagter Ideen ausfiltern. Dennoch werden immer wieder Arbeitsergebnisse publiziert, die entweder infolge euphorischer Scheuklappen, Schlamperei, vorsätzlicher Provokation (nicht per se abzulehnen) oder schlichter Dummheit auf den Markt kommen.

2. Medien können diese Werbemittel ablehnen

An diesem Punkt versagt die freiwillige Selbstkontrolle in der Regel am öftesten. Der (legitimerweise) provisionsgetriebene Anzeigenverkauf kontrolliert die einlangenden Sujets nicht, sondern freut sich über den Umsatz. Wenn etwas heikel sein sollte, meldet sich ja der Werberat. Aber dann ist die Kampagne längst in freier Wildbahn und die Rechnung gestellt. Sollten Medien schon aus eigenem Interesse nicht auch selbst dafür Sorge tragen mit welchen werblichen Inhalten sie billigend in Zusammenhang gebracht werden wollen? (Anm. d. A. Ich habe noch kein FPÖ-Inserat im Standard gesehen.)

3. Die Rolle der Konsumenten

Müssen Konsumenten (mittels Werberat) vor bedenklicher Werbung geschützt werden? Bei erwachsenen Menschen stellt sich diese Frage hoffentlich nicht. Das weiß auch der Werberat, weshalb dann immer wieder Kinder als Schutzschild in der Argumentation hochgefahren werden. (Übrigens hängt die Gewista, als unterstützendes Medium des Werberats, in Wien gerade flächendeckend Plakate für ein Bordell in der Juchgasse aus.) Wenn es hier um Kinder geht, dann sollten eher flächendeckende Mechanismen zur kindgerechten Zensur von Werbung eingezogen werden. Dann reichen punktuelle Beschwerden nicht aus.

4. Der Werberat kratzt an der Oberfläche

Denn der größte Teil der werblichen Kommunikation wird in absehbarer Zeit vollkommen am Radar der kritischen Beschwerdeführer vorbeilaufen. Moderne Methoden (Word of Mouth, Buzz Marketing, Social Media) passieren sowohl klassische Medien als auch Werberat ungesehen. Ist es nicht kontraproduktiv an der Spitze des Eisbergs zu streiten, wenn damit der Löwenteil der Kommunikation zugedeckt wird?

Abgesehen davon fühlt sich der Werberat für manche Formen der Werbung ganz einfach nicht zuständig. Wer auch immer Beschwerde beim Werberat gegen politische oder religiöse Werbung beim Werberat einlegt, wird mit Nichtzuständigkeit abgeschmettert. Das steht im Widerspruch zur behaupteten Schutzfunktion.

5. Ausschluss der Öffentlichkeit

Nach eigener Aussage arbeitet der Werberat auf informellem Wege Beschwerden "professionell und ohne Aufsehen" auf (Peter Drössler in einem Kommentar auf super-fi.eu). Das mag in der Praxis gut funktionieren, doch einem demokratischen Diskurs ist das nicht zuträglich. Dieser hat öffentlich stattzufinden, denn nur so kann es zu einem breiten Konsens über ethisch richtiges Werbeverhalten kommen. 

6. Ist der Werberat besser befähigt ethische Urteile zu fällen, als das eine kritische, aufgeklärte Öffentlichkeit tun kann?

Nein.

Werbung muss im Rahmen bestehender Gesetze agieren. Werden diese Gesetze nicht übertreten (Ehrabschneidung, Verhetzung, usw.) darf die Zulässigkeit der Kommunikation, die Meinungsfreiheit durch kein Gremium beschnitten werden. Die ethische Vertretbarkeit ist unter den Akteuren am Markt (Konsumenten, Werbetreibende, Agenturen, Medien) auszuhandeln.
Die mediale Positionierung des Werberats als Weisenrat ist 1.0 und überholt. Der Kodex des Werberats ist kein heiliges Buch und sein ehrliches Bemühen faire Empfehlungen auszusprechen in letzter Konsequenz leider auch nur geschmäcklerisch. Seine Entscheidungen sind Urteile einer nicht-repräsentativen Elite.

Uns stehen alle Möglichkeiten offen, Diskussion über die Grenzen der Werbung mit allen Marktteilnehmern zu führen.

Eine kleine weiterführende Diskussion zwischen Peter Drössler und mir auf unserem Blog. (Niko Alm/derStandard.at, 9.6.2010)