Howe Gelb
The Listener
(Thrill Jockey/Trost)

Foto: Thrill Jockey

Insgesamt 23 Alben als Chef von Giant Sand und sieben Solowerke. Vier Longplayer als Band Of Blacky Ranchette, einen als OP 8. Dazu maßgebliche Mitarbeit an Alben von Rainer, den Friends Of Dean Martinez und natürlich bei Calexico. Diverse Seitenprojekte und unzählige Gastauftritte wie jüngst auf Evan Dandos wunderbarem Solodebüt Baby I'm Bored nicht mitgerechnet ist das kein schmaler Output für jemanden, der, wie böse Zungen gerne behaupten, die Hälfte dieser immerhin 18 Jahre unter Einfluss von Rauchgräsern verbracht haben soll.

Doch der Großteil der Arbeit von Howe Gelb zählt zum Originellsten und Besten, was Alternative Music im Bereich Ami-Rock je hervorgebracht hat. Und zwar lange bevor dieser Begriff zu einem sinnentleerten Industrieetikett für nicht massenkompatible und meist aus der B-Liga stammende Bands verkam. Howe Gelb hat das alles überlebt. Und er ist immer noch eine Alternative.

Dabei hat es der Mann aus Tucson, Arizona, seinen Fans nicht immer leicht gemacht. Die mittleren 90er waren nicht seine Zeit. Missmutige Liveauftritte, die zu Free Jazz auf Gitarren- und Haschischbasis ausarteten, verschreckten die verwöhnten Sand-Fans. Doch sobald man ihn als wirren Stoner abgeschrieben hatte, veröffentlichte dieser schräge Jack-Kerouac-Charakter wieder Alben, die belegten, dass die Ideen immer noch sprudeln und es oft nur an deren richtiger Kanalisierung ein wenig gebrach. Seine Platten waren immer gut. Meist unberechenbar, aber so soll es ja sein.

Doch dass er jemals wieder einmal ein atmosphärisches Meisterwerk wie das nun erschienene The Listener schaffen würde, war nicht abzusehen. Während heute viele Alben von zwei, drei guten Songs leben, die mit erträglichen Füllmaterial abgerundet werden, produziert Gelb hier ein geniales Mosaiksteinchen nach dem anderen, die schließlich zu einem großen Ganzen wachsen.

The Listener verbreitet wohlige Wärme. Sonnenuntergangswärme. Langsame Balladen, in denen herzzerreißende Streicher oder ein einsamer Bläser auftauchen, treffen auf lässigen Veranda Rock. Ein Sixpack steht herum. Joey Burns, John Convertino und das Ehepaar Sparks von der Handsome Family schauen vorbei. Das Dosenbier macht "Pffft!" Howe sitzt am Piano. Von dort aus, ebenso wie von der Gitarre, beliefert er seine Songs mit Melodien, von denen man sich immer wieder denkt: Ja, genau so! So soll es sein. Das ist unser Howe! Gut, besser, Gelb!

Der Mann bedient mit traumwandlerischer Sicherheit die Gefühlswelten seiner Hörer. Im Song Torque (Tango De La Tongue) zerlegt er im Duett mit Schmollstimme Henriette Sennenvaldt ein Stück Sehnsucht: Aus den Bruchstellen erklingen Geige und Saxofon. Vom Piano tropfen Noten, der Stehbass hustet Wüstensand, und am Schlagzeug wischt ein Beserl Rhythmus. Es ist zum Weinen schön!

Sagen wir es ruhig etwas marktschreierisch: Wer in seinem Herz einen Platz für Calexico eingerichtet hat, wird auch für The Listener einen finden. Locker, denn zusammen mit Alben wie The Love Songs, Ramp oder Storm zählt The Listener schlicht und - im wahrsten Sinn des Wortes - ergreifend zum Besten, was der Mann mit den österreichischen Vorfahren jemals produziert hat: Repeat! Repeat! (DER STANDARD, Printausgabe, 18.4.2003)