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Brasiliens Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva wird vor allem vom linken Flügel seiner Partei kritisiert

Foto: APA/AFP/Mauricio Lima

"Die Welt glaubt wieder an Brasilien", sagte Luiz Inácio "Lula" da Silva vor einigen Tagen in einer TV-Ansprache anlässlich seiner ersten 100 Tage im Amt des brasilianischen Staatspräsidenten. "Schlaflose Nächte" habe ihn "die bittere Medizin" von Zinserhöhungen und Haushaltskürzungen gekostet, doch sie seien der einzig mögliche Weg gewesen. Lula knüpfte nahtlos an die Sparpolitik seines Vorgängers Fernando Henrique Cardoso an. Der Lohn dafür: Das wiedergewonnene Vertrauen der ausländischen Kreditgeber, die überraschende Stärkung der Landeswährung Real und eine gebremste Inflation.

Andererseits stöhnt die einheimische Industrie weiter unter hohen Zinsen. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Reallöhne sinken. Wie schon 2002 wird nur mit einem geringen Wirtschaftswachstum gerechnet. Aufgrund der Etatkürzungen fehlt das Geld für jene Sozialreformen, die die Brasilianer von Lula erwarten.

Bei der Agrarreform wird das Dilemma deutlich, in dem die Regierung steckt: 60.000 Landlosenfamilien sollen bis Jahresende angesiedelt werden. Doch die Mittel reichen nicht einmal, um halb so viel Land umzuverteilen, wie dafür erforderlich wäre. Auch das Antihungerprogramm "Fome Zero", mit dem Lula allen Armen bis zum Ende seiner Amtszeit wenigstens drei Mahlzeiten täglich garantieren will, läuft schleppend an. Dennoch bringen die Brasilianer bisher dafür viel Verständnis auf: Nach jüngsten Umfragen bekommt Lula für seine ersten 100 Tage bessere Noten als alle seine Vorgänger.

Ein echtes Novum sei der Versuch des Präsidenten, "gemeinsam mit der Gesellschaft" nach Lösungen für die "strukturellen Herausforderungen" Brasiliens zu suchen, sagt der Politikwissenschafter Luiz Werneck Vianna. So werden wichtige Reformprojekte im neu gebildeten 82-köpfigen "Rat für wirtschaftliche und soziale Entwicklung" diskutiert, in dem Unternehmer wie Basisaktivisten vertreten sind. In seinen "Sozialpakt" möchte Lula auch die 27 meist bürgerlichen Gouverneure einbinden. Deren Rückhalt braucht er für Renten- und Steuerreformen, die er als Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung betrachtet.

Kritik kommt bisher vor allem vom linken Flügel seiner Partei. Die Kontinuität in der Wirtschaftspolitik komme einer Unterwerfung unter die Vorgaben des Internationale Währungsfonds gleich, meint Raul Pont, ein früherer Bürgermeister von Porto Alegre. Für die versprochenen Maßnahmen zur Einkommensverteilung gebe es keine konkreten Anzeichen. Die Zugeständnisse an das bürgerliche Lager, die Lula für Mehrheiten im Kongress braucht, drohten das eigene Profil "bis zur Unkenntlichkeit" zu entstellen.

Auch Gewerkschafter, progressive Kirchenleute und Bauernvertreter werden immer ungeduldiger. Die Regierung werde von den einheimischen Eliten gebremst, analysiert João Pedro Stedile von der Landlosenbewegung MST. Das Volk habe aber für den Wandel gestimmt. Spätestens in drei Monaten müsse klar sein, "wohin die Reise geht". (DER STANDARD, Printausgabe, 18.4.2003)