Daniel Lanois

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Der kanadische Produzent Daniel Lanois begibt sich auf seinem dritten Soloalbum, "Shine", auf melancholische Wurzelsuche. Zwischen Folk, Blues, narrischen Schwammerln - und U2.


Bei diesen Zutaten kann leicht etwas schief gehen: Die scheinbare Naivität eines Paul Simon wird mit der erleuchteten Einfalt eines JJ Cale zusammengeführt. Siehe auch: Kinderschokolade aus einem New Yorker Süßigkeitenladen trifft auf narrische Schwammerln aus der amerikanisch-mexikanischen Grenzregion. Dazu setzt es eine fette Soße, die auf dem katholischen Pathos von U2 beruht, und als zusätzliche Geschmacksbasis verwendet man derbe, schlichte und nur im eigenen Saft zu kochende Klassiker des American Songbook. Hillbilly-Gospel aus den Appalachen, klagende französisch-englische Liebesgesänge aus den Sümpfen Louisianas; irgendwo steht auch eine Straßenkreuzung herum, an der sich Country-Blues-Gevatter Robert Johnson für das Gute oder den Gottseibeiuns entscheiden muss.

Damit das Ganze schließlich nicht so tonnenschwer schmeckt wie eine in Ketchup gebröselte Freiheitsstatue, zu der man Freedom Fries als Sättigungsbeilage reicht, hebt man vor dem Servieren allerdings noch beherzt Echoeffekte und Kubikmeter von Hall unter und greift so, obwohl man tief im musikalischen und mythischen Urschlamm des nordamerikanischen Kontinents steckt, nach den Sternen.

Daniel Lanois aus dem französisch-kanadischen Quebec zählt mit seinen 51 Jahren zu den ganz großen Neuerern im Rock. Zwar ist seine Revolution eine ungemein sanfte. Die Klangräume aber, die er in den vergangenen zwei Jahrzehnten für Leute wie Bob Dylan (Time Out Of Mind), Emmylou Harris (Wrecking Ball), Peter Gabriel (Us), Willie Nelson (Teatro), die Neville Brothers (Yellow Moon) und vor allem gemeinsam mit Brian Eno für U2 (Unforgetable Fire, The Joshua Tree, All That You Can't Leave Behind. . .) entwarf, zählen zu den markantesten Produktionsleistungen der Popgeschichte. Vergleicht man Daniel Lanois' Soloarbeiten Acadie (1989) und For The Beauty Of Wynona (1993) speziell mit den Soundentwürfen von U2, so wird schnell eines deutlich. Die vier Iren und der eigenbrötlerische Späthippie dürften sich vor allem auch bezüglich der panoramalastigen Atmosphäre, in der die Umgebung ebenso wichtig ist wie eigentliche Sehenswürdigkeit des Songs, recht intensiv miteinander ausgetauscht haben. Soll heißen: Bei den vielschichtigen Gitarrenparts zählen nicht nur das saubere Riff oder die Melodie, die aus den Verstärkern kommt, sondern auch die Nebengeräusche. Fingerrutschen, Saitenschnarren, das Kratzen des Plektrums werden gleichberechtigt in die Songs integriert.

Wie U2 vertraut auch Lanois auf seinem nach zehnjähriger Pause und unzähligen Jobs als hoch dotierter Produzent von Hollywood-Soundtracks (zuletzt etwa The Million Dollar Hotel, aber auch Tomb Raider) entstandenen dritten Soloalbum, Shine, wieder auf einen Hauptzugang: Aus weniger mach mehr. Einfache, volksliedhafte und durchwegs sehr, sehr sanfte, melancholische und unendlich zurückgelehnte Melodien und an und für sich spartanische Arrangements für Pedal Steel-Gitarre, ein sich heutzutage völlig ungewohnt rein am Gesang ausrichtendes Beserlschlagzeug, einen Kontrabass und eine wehmütig und oft in Richtung George Harrison und vor allem immer wieder in Richtung JJ Cale klagende E-Gitarre werden mit einfachen Sound-Effekten dramatisch und kontextuell vielschichtig aufgeladen. Im Kern kracht die Waffel, außen herum zerfließt der Schokoguss.

Großteils hat Lanois dieses Album zwischen Paris, Montreal und Mexiko allein aufgenommen und dazu ebenso einfach wirkende, mitunter etwas rosarote und süßliche Hippie-Poems für "unsichtbare Engel" auf "endlosen Straßen" verfasst. Das "spirituelle Moment", auf das sich Lanois Zeit seiner Karriere so gern beruft, es greift allerdings wie auf den Vorgängeralben auch hier - ohne allzu sehr in vernebelten Haschischwolken auf Selbstfindung zu gehen. Als Gäste wirken mit: Jazz-Schlagzeuger Brian Blade, der unter anderem schon für Joni Mitchell oder Joshua Redman trommelte. Der umtriebige und überbuchte Bassist Darryl Johnson schaut ebenfalls kurz vorbei - wie auch Blueslegende Charlie Patton mit einem harschen Gitarrensample grüß Gott sagt. Am Gesang helfen dem mit schüchterner, aber äußerst sympathischer Flüsterstimme vortragenden Daniel Lanois zwei alte Wegbegleiter. Emmylou Harris veredelt den Albumopener I Love You und Bono Vox hält sich für seine Verhältnisse auf Falling At Your Feet derart zurück, dass man ihn anfangs gar nicht erkennt. Er kann das tatsächlich. Wieder was gelernt.

Ein ans Herz gehendes und in die Hängematte zielendes Album im besten Sinn. Wem das zu weich ist, der ist zu hart. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.4.2003)