Seit jeder Trend einen Gegentrend kennt, ist das Geschäft mit der Alltagsentschlüsselung vertrackter geworden. Nichts passt mehr, immer ist auch das Gegenteil richtig. Auch bei Sofas. Weder sind jene Modell allein im Vormarsch, die mit allerlei Technik aufwarten; Sitzgelegenheiten also, die mit Radios, Steckdosen oder Internetsteckplätzen ausgestattet sind; noch sind es die besonders schlicht gestalteten Exemplare, von denen es auch heißt, sie seien "sachlich", ganz so, als seien pompöse Polster, die an barocke Pracht erinnern, keine Sachen.

Foto Couch.p/mtr. von Arian Brekveld

Nein, Orientierung gibt es keine. Und schon gar nicht im Design. Und so sind wir dem Karlsruher Designprofessor Volker Albus für einen aktuellen Hinweis dankbar.

"Carre" von Matteo Thun für Wittmann

Er erkennt nämlich, jenseits aller Trendplaudereien und Milieuentschlüsselungen, seit einiger Zeit ein Phänomen, das Sofas mit Teppichen kreuzt. Zahlreiche Objekte hat er identifiziert, die eines belegen: die Wiederentdeckung des Bodens als Wohnlandschaft. Damit wird eine Kultur reanimiert, die wir schon einmal beobachten durften. Wer es nämlich zu Zeiten der Studentenproteste und Ökodemos mit der "fortschreitenden Entkrampfung unserer Wohnkultur" (Albus) ernst meinte, ...

Foto: Teppich "Pol2" von COR.

... tat das nicht bei Tisch, auch nicht am Couchtisch. Vielmehr breitete sich das Polit-Protest-Palaver über den gesamten Wohn-Boden aus. Von besonders gewissenhaften Gesellschaftsveränderern hören wir Nachgeborenen, sie hätten ganze Räume mit Matratzen ausgelegt. Und verlassen wurden die WG-Zimmer ohnehin nur zum Demonstrieren. Und nun, da Demonstrieren wieder politisch korrektes Verhalten ist, tauchen einige Objekte am Markt auf, die die revolutionäre Wohngeste mit edlem Schick verschränken, die Bequemlichkeit am Boden zelebrieren.

Foto: Sofasystem von Jasper Morrison für Cappellini

Den Anfang machte, wie so oft, 1998 die Firma Cappellini. Der italienische Möbelverlag nahm ein Objekt ins Programm, das sich - gestaltet von dem Niederländer Marcel Wanders - am Flokati orientiert: ein Teppich, dessen Ende mit einer Stütze versehen ist, die als Rückenlehne fungiert. Auf diesem Teppich-Sofa wird bodennahes Herumlümmeln zum Ausdruck des unkonventionellen Lebens. Eine Haltung also, die unterhalb der konventionellen Wohnhöhe von 50 bis 70 Zentimeter stattfindet, wie Albus anmerkt - sich aber problemlos mit dem Komfort des gemütlichen Sofas arrangiert. Hier lässt sich lesen, dösen und fernsehen - ohne Attitüde bürgerlichen Muffs. Schon im Namen des Möbels, "Nomad Carpet", klingt der Widerspruch von unabhängigem Nomadentum auf der einen Seite und Konventionsmöblierung auf der anderen an.

Foto: cappellini/"Nomad Carpet", von Marcel Wanders

Protest als Stil? Ein Widerspruch, der auch in einer weiteren Variante bodennaher Gemütlichkeit anklingt: dem Sofa "Couch.p/mtr.", das Arian Brekveld, ein Landsmann von Wanders, entworfen hat. Was dem einen der Flokati, ist dem anderen das Matratzenlager. Und wie diese Diskussionslandschaft danach trachtet, möglichst ausufernde Flächen zu bespielen, erstreckt sich Brekvelds Sofa über mehrere Meter: Es ist in allen beliebigen Längen zu bestellen. Keinerlei Zierrat ist dem Polstermöbel beigefügt, sodass sich funktionaler Verzicht mit protziger Breite verschränkt.

Foto Couch.p/mtr. von Arian Brekveld

Überdeutlich wird die Verquickung von Matratzenlager und Sofa bei dem Polstermöbelhersteller COR. Das Modell "scroll", entworfen vom Studio Vertijet, empfiehlt sich als edle Version vollflächiger Bodenpolsterung - allerdings so weit vom Boden erhöht, dass noch eindeutig vom Sofa zu sprechen ist.

Foto: Cappellini "Scroll"

Und wo die improvisierte Liegewiese, ganz dem Situationismus verpflichtet, ohne konkrete Nutzungsanweisungen auskommt, ist auch "scroll" ein vager Vorschlag für variantenreiche Entspannung.

Foto: Cappellini "Scroll"

Nicht etwa funktionsbestimmte Beistelltische, Fußstützen oder Armlehnen geben den Gebrauch vor - vielmehr ist die Nutzung offen gehalten: Von der flachen Palaver-Plattform als glatte Ebene, bis zum klassischen Sofa mit verstellbarer Lehne reichen die Varianten. Gerade so, dass dem Boden-Wohn-Phänomen noch entsprochen wird, das bürgerliche Sofa aber erhalten bleibt.

Foto: Couch "6300-2" von Rolf Benz

Wie auf diesem funktional undefinierten Polstermöbel gelebt wird, wie die Nutzung erfolgt, das ist dem Möbel nicht mit Funktionsdoktrinen angehängt worden - das erkennt der Nutzer selbst: als innere Schönheit, als Sinn und Nützlichkeit, die immer nur er selbst entdeckt. Im Lichte all dieser flachen, breiten und weichen Möbel ist es nur konsequent, dass auch Teppiche ins Blickfeld der Designer geraten.

Foto: "Cubista" von Massimo Morozzi für Edra

COR vertreibt solche seit jüngster Zeit, die ebenfalls vom Studio Vertijet entworfen sind. In diesem Sortiment finden sich so wunderbare poetische Spielereien, wie der runde Teppich "POL": eine Filzfläche, auf der eine gerade Reihe von Wollfäden angebracht ist.

Foto: Teppich "Pol1" von COR.

Oder das rechteckige Modell "Grex", das auf herrliche Weise unfertig scheint: Die Filzfläche ist an einem Ende vollständig mit Wollfäden übersät, wird zur anderen Seite jedoch undekoriert belassen, nur einzelne Fäden sind scheinbar zufällig verteilt.

Foto: Teppich "Grex" von COR.

An diesen Fäden lässt sich verträumt herumzupfen. Etwa wenn auf der Liege "XL" von Lignet Roset Platz genommen wurde. Denn auch diese vom Designer Arik Lévy entworfene Liege ruht direkt auf dem Boden - ist jedoch, mit einem zusätzlichen Gestell, auf die klassische Sitzhöhe zu heben. So findet auch der Bürger sein Glücksmoment. Kaum dürfte das der Fall sein bei den eigenartigen Keilen, die uns der französische Designer Olivier Peyricot beschert hat. Seltsam unförmige Skulpturen, die wie eingefrorene Kissen oder steif gewordene Gelhaufen aussehen. Alle ein wenig unterschiedlich, alle weich geformt und in ihrer Anwendung völlig undefiniert. Über diese Objekte weiß Albus zu berichten, dass Peyricot sich mit "Positionen auseinander setzt, die wir einnehmen, sobald wir versuchen, es uns auf einer Wiese oder am Strand gemütlich zu machen." Oder auf dem Fußboden liegen.

Liege XL von Arik Levy für Lignet Roset

Denn das zeigen uns die reanimierten Möbel nach dem Schlage Protest Royal: Die klare Trennung von Sofa, Sessel oder Teppich gleitet langsam dahin - bis der nächste Trend einsetzt. (Knuth Hornbogen, DER STANDARD, rondo/18/04/2003).

"Boa" von F. und H. Campana für Edra.