Bagdad/Nadjaf - Die politische Hauptstadt des Irak heißt im Moment Nadjaf. Von dort werden offensichtlich Versuche dirigiert, die Schiiten in Bagdad zu aktivieren und zu organisieren, die vor allem die Ordnung auf den Straßen wiederherstellen sollen. Laut Guardian könnten diese Gruppen aber mit den von den Amerikanern aufgestellten, aus früheren Polizisten rekrutierten Sicherheitsteams in Konflikt kommen.

Mit welcher Vehemenz die diversen Schiitengruppen im Irak nur wenige Tage nach dem Fall Saddam Husseins ins öffentliche Leben einsteigen, hat die USA überrascht und stellt einmal mehr in Frage, ob sich die US-Wunschkandidaten für eine politische Rolle im Nachkriegsirak - allen voran der säkulare Schiit Ahmad Chalabi - durchsetzen werden. Auch beim von den USA geleiteten Oppositionellentreffen in Ur bei Nasiriya am Dienstag wurde der Ruf nach einem Gottesstaat laut. Allerdings gab es auch Stimmen schiitischer Geistlicher, die mit dem Hinweis darauf, dass die Religion in den Saddam-Jahren politisch missbraucht wurde, explizit eine Trennung von Staat und Religion verlangten.

Sich die religiösen Schiiten im Irak (und im Iran) als homogene Masse vorzustellen, ist indes völlig falsch. Jeder Schiit sucht sich seinen religiösen Führer aus, deren Palette von sehr liberal bis sehr radikal reicht und die so stark sind wie ihre Anhängerschaft zahlreich. Im Irak profiliert sich momentan, wenn auch in einer eher fragwürdigen Weise, Muqtada al-Sadr (der "zweite Sadr"), der Sohn des 1999 von Saddam ermordeten Mohammed Bakir al-Sadr. Wie stark die Anhängerschaft der Sadrs ist, zeigte sich, als sofort nach der Befreiung Bagdads das schiitische Slumviertel Saddam-City in "Sadr-City" umbenannt wurde.

Die in Nadjaf etablierten Geistlichen, gegen die Sadr agitiert, versuchen nun gegenzusteuern, indem sie sich des allerwichtigsten Anliegens der Menschen im Irak - der Sicherheit - annehmen und Bürgerwehren organisieren.
(DER STANDARD, Printausgabe, 17.4.2003)