STANDARD: In unserer Redaktion gibt es keine Videokameras, wir sind völlig unbewacht. Fürchten Sie sich?

Mainoni: Nein, aber ich muss sagen, es stört mich überhaupt nicht, wenn Räume videoüberwacht sind. Der Zweck der Überwachung ist ja nicht, dass man ausgekundschaftet wird, sondern die Sicherheit zu erhöhen. Oder umgekehrt formuliert: allfällige Kriminalität damit zu senken. Videoüberwachung findet ja überall statt, ob am Flughafen, in der U-Bahn oder am Bahnhof.

STANDARD: Macht Videoüberwachung sicherer?

Jarolim: Das kann man so generell nicht sagen. Es gibt sicherlich Aspekte, die für Videoüberwachung sprechen. Die Frage ist letztlich immer: Wie stellt man sicher, dass sie verhältnismäßig eingesetzt wird? Und wie kann Missbrauch verhindert werden? Was mich irritiert, ist, dass der Innenminister Videoüberwachung unter dem Titel "Entlastung der Exekutive von artfremden Tätigkeiten" führt. Das ist gefährlich.

Mainoni: Technik statt Dienstleistung ist eine Alternative. Die patrouillierende Exekutive kostet viel Geld. In manchen Bereichen ist sie durch Kameras ersetzbar.

Jarolim: Es ist aber auch ein Faktum, das zum Beispiel Kameras in der offenen Suchtgiftszene wenig helfen. Überwachung hat höchstens einen Verdrängungseffekt. Der Umgang und die Bekämpfung von Kriminalität kann nicht durch eine lautstarke Ansage oder mit einem Ruf nach einer Erhöhung der Strafsätze sichergestellt werden. In Belangen der inneren Sicherheit fehlt es generell an Sensibilität. In anderen Ländern ist es zum Beispiel undenkbar, dass Mitarbeiter von Heeresdiensten zur Exekutive wechseln. Es gibt normalerweise keine derartigen Überschreitungen, in Österreich seit dem Amtsantritt von Ernst Strasser als Innenminister schon. Law and Order ist wieder modern.

Prinzipiell ist Law and Order nichts Schlechtes.

Mainoni: Prinzipiell ist Law and Order nichts Schlechtes. Man versucht immer, diesem Begriff einen negativen Touch zu geben. Es ist eine gesellschaftspolitische Frage. Die jüngste Kriminalstatistik von 2002 ist jedenfalls dramatisch. Bei Verbrechen ist die Aufklärungsrate auf 30 Prozent gesunken. Es ist also geradezu notwendig, darüber nachzudenken, ob man nicht da oder dort in besonders gefährdeten Bereichen technische Unterstützung installiert. Wenn Sie zum Beispiel in das Fußballstation Lehen in Salzburg gehen, müssen Sie sich bewusst sein, dass man die Augenfarbe jeder einzelnen Person herausholen kann. So genaue Bilder werden dort gemacht.

Jarolim: Dass die Aufklärungsrate so abgenommen hat, ist eine Folge von Strassers Polizeireformen. Seit 2000 wurde davor gewarnt. Einer der erfahrensten Kriminalisten, Max Edelbacher, hat gewarnt und wurde dafür vom Innenminister strafversetzt. Jetzt braucht Strasser die Videoüberwachung als Krücke für die entstandene Lücke in der inneren Sicherheit. Ich halte es für unverhältnismäßig, wie es in London ist, wo breite Straßenzüge einfach grundsätzlich überwacht werden. In schwer kriminellen Ecken, von mir aus. Aber ohne konkrete Begründung: nein.

Mainoni: Man darf aber die positiven Seiten nicht verschweigen. Ich erinnere nur daran, dass es kurz nach dem Terrorakt am 11. September 2001 gelungen ist, Täter und weitere Verdächtige durch Überwachungskameras zu identifizieren.

Es darf nur nicht heißen: immer und überall filmen

Jarolim: Es gibt ja auch Zonen, wo Videokameras sinnvoll sind. Es darf nur nicht heißen: immer und überall filmen.

STANDARD: Wird das Parlament per Video überwacht?

Mainoni: Auf der Galerie gibt es eine Überwachung, die zur Feuerwache geschaltet ist. Derzeit steht zur Diskussion, dass man das Parlament von außen videoüberwacht. Be_ sonders deshalb, weil es dort derzeit vermehrt Autoeinbrüche gibt.

Jarolim: Es gibt jedenfalls auch Kameras, die die Redner im Plenarsaal filmen und dann die Konflikte und so manche Ausfälligkeit dokumentieren.

STANDARD: Vor kurzem gelang es einem offenbar verwirten Mann, bis zum Rednerpult vorzudringen.

Jarolim: Die Zutrittskontrollen wurden jetzt verschärft. Seither haben sogar bekannte Mitarbeiter Probleme. Beim Eingang der Grünen - ha, ausgerechnet dort - gibt es eine Biometrie-Kontrolle. Der Schranken geht nur auf, wenn man vom Computer erkannt wird.

STANDARD: Biometrische Systeme können auch für Screenings von Menschenmassen verwendet werden.

Mainoni: Das ist in Österreich allenfalls Zukunftsmusik. In Sicherheitsschleusen auf Flughäfen oder Bahnhöfen wäre es sicher legitim. Aber so was in der Kärntner Straße 24 Stunden am Tag durchlaufen zu lassen ist übertrieben. Das ist ja auch eine mögliche Beeinträchtigung von Geschäften. Viele Kunden haben sicher etwas dagegen, routinemäßig gescreent zu werden.

STANDARD: Um nicht ganz auf George Orwell zu verzichten. Wie heißt der Held seines Romans "1984"?*

Mainoni: Das ist zu lange her, ich kann mich nicht erinnern.

Jarolim: Weiß ich jetzt auch nicht mehr. * Die richtige Antwort lautet: Winston Smith (DER STANDARD, Printausgabe, 17.4.2003)