Es ist ein bisschen wie in der Geschichte mit dem Kind und dem Wolf. So oft schreit das Kind "Wolf", dass ihm dann, wenn der Wolf wirklich kommt, niemand mehr glaubt.

So ähnlich geht es der Gewerkschaft mit der Pensionsreform. Selbst bei der harmlosen Reform 2000 hat sie so laut "Pensionsraub" und "Vertrauensbruch" geschrien, dass sie bei den jetzigen Pensionsplänen nicht mehr viel an verbaler Empörung zulegen kann. Dabei plant die Regierung diesmal wirklich harte Kürzungen - die sogar Pensions^reformfans wie Bernd Marin "Pensionsraub" nennen.

Nachdem die Gewerkschaft die Superlative des verbalen Protests schon 2000 ausgeschöpft hat, bleibt ihr diesmal nicht viel mehr, als mit Streik zu drohen. Wobei ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch das S- Wort lieber nicht in den Mund nimmt, sondern im Gewerkschaftsjargon von "Kampfmaßnahmen" spricht. Bei so viel demonstrativem Kampfgeist ist es kein Wunder, dass die Regierung alles andere als vor Angst schlottert.

Hat doch der schlafende Riese ÖGB in den schwarz- blauen Jahren schon öfter mit Streik gedroht, aber nicht mehr als ein verschämtes einstündiges Streikerl zustande gebracht. Selbst die Urabstimmung gegen den "Sozialabbau", Frage nach Streik inklusive, ist folgenlos verebbt. Auch deshalb, weil die Gewerkschaft Angst vor der eigenen Courage bekommen und lieber nicht zum Streik aufgerufen hat - getrieben von der Befürchtung, dass ein Ministreik ohne große Beteiligung die stärkste Waffe der Gewerkschaft wirkungslos macht.

Leere Streikdrohungen, denen keine Taten folgen, haben aber genau dieselbe Konsequenz. Wenn der ÖGB mit seinen Streikdrohungen von der Regierung ernst genommen werden will, müsste er sie auch irgendwann einmal umsetzen.

Die Gewerkschaft könnte ihren verbalen Protestnoten gegen die Pensionskürzungen leichter mehr Gewicht verleihen, wenn ihr einstiger siamesischer Zwilling, die SPÖ, sich entschließen könnte, sich ernsthaft in die Pensionsdebatte einzubringen. Es mag ja hedonistisch wertvoll sein, wenn SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer seine profunden Weinkenntnisse auf drei Seiten im profil ausbreitet - sozialpolitisch interessanter wäre es gewesen, von Gusenbauer endlich Genaueres über das angebliche Alternativ-Pensionskonzept der SPÖ zu erfahren.

Die neuerliche rote PR-Panne fügt sich nahtlos in die Hilflosigkeit der SPÖ im Umgang mit der Pensionsreform ein. Kaum waren die Pläne der Regierung präsentiert und die ersten Aufschreie der Gewerkschaft gehört, schaffte die SPÖ das seltene Kunststück, sich in einen intensiven internen Strategiestreit darüber zu verzetteln, wie man denn gegen die Pensionskürzungen vorgehen soll: lieber den Verfassungsgerichtshof anrufen? Ein Volksbegehren machen? Oder doch einen Pensionskonvent?

Diese strategischen Finessen stießen zwar bei Menschen außerhalb der SPÖ- Zentrale, die mit den Auswirkungen der Pensionskürzungen beschäftigt waren, auf nur bedingtes Interesse - banden aber offenbar so viel rote Energie, dass das lang angekündigte Gegenkonzept der SPÖ zur Pensionsreform bis heute auf sich warten lässt. Das macht es der Regierung ziemlich leicht, jede spät, aber doch erfolgte inhaltliche Kritik der SPÖ an den schwarz-blauen Pensionsplänen mit dem Hinweis auf fehlende Alternativen abzuschmettern. Wieder ein Elfmeter, den die Koalition aufgelegt, die SPÖ aber nicht verwertet hat. Als schärfste Kritiker der Pensionskürzungen sind mittlerweile nicht SPÖ- Politiker - sondern ÖVP-Landeshauptleute und Jörg Haider profiliert. Es rächt sich bitter, dass die SPÖ zwar eine Menge Bereichssprecher installiert, ausgerechnet ihren Kernbereich Sozialpolitik aber sträflich vernachlässigt hat. Ist in den schwarz-blauen Jahren ein SPÖ-Sozialsprecher, eine flammende Parlamentsrede einer roten Sozialpolitikerin oder gar ein Schatten-Sozialminister aufgefallen? Eben.

Dagegen wirkt ja selbst der schlafende Riese Gewerkschaft wie eine gut geölte Kampfmaschine. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.4.2003)