Belgrad - Von den Reformen nach der Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic im März werden nun auch die serbisch-montenegrinischen Streitkräfte erfasst. Der frühere jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica hatte nach der Wende im Oktober 2000 Änderungen bei den Militärstrukturen stets unter Vorwand verhindert, dass dies das Land destabilisieren würde. Nun soll endlich in der Armee aufgeräumt werden. Verteidigungsminister Boris Tadic machte vorige Woche nach Ansicht von manchen Militäranalytiker gar einen "revolutionären Schritt", als er das Angebot des außenpolitischen Beauftragten der EU, Javier Solana, akzeptierte, einen spanischen Militärberater nach Belgrad zu entsenden.

Militärsicherheitsdienste zum ersten Mal seit 1945 unter ziviler Kontrolle

Mit den Reformen will die Regierung in Belgrad die Oberhand über der oft eigenmächtig agierenden Militärführung behalten. So beschloss der Oberste Verteidigungsrat Serbien-Montenegros am Dienstag, die Militärsicherheitsdienste dem Verteidigugnsministerium zu unterstellen. Zum ersten Mal seit 1945 stehen sie somit unter ziviler Kontrolle. In erster Linie soll so die Zusammenarbeit der Streitkräfte mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verbessert werden. Zahlreiche Armeeangehörige sollen nämlich angeklagte mutmaßliche Kriegsverbrecher, allen voran den ehemaligen bosnischen Serbengeneral Ratko Mladic, vor einer Festnahme schützen.

Der Belgrader Militäranalytiker Ljubodrag Stojadinovic sagte am Mittwoch gegenüber dem Rundfunksender B-92, hinter der Entscheidung des Verteidigungsrates stehe das Bemühen, die "stalinistischen" Militärsicherheitsdienste der Geschichte zu überlassen. Bisher hätten diese nämlich "alles" überwachen wollen, sogar die Zivilbehörden, und sich dabei jeglicher Kontrolle zu entziehen. Bereits in seiner ersten Sitzung nach Proklamierung des neuen Staatenbundes hatte der Verteidigungsrat Anfang Februar den kontroversen Chef des Militärsicherheitsdienstes, General Aca Tomic, in den Ruhestand versetzt.

Generalstabchef Nebojsa Pavkovic im Visier der Militärjustiz

Tadic kündigte gegenüber B-92 an, dass die Personalstruktur der Sicherheitsdienste unverändert bleiben werde. Es stünden aber weitere Reformen bevor. Vor allem gehe es darum, die Sicherheitsdienste zu "entmystifizieren". "Davon, dass sie die dunkelsten Zonen und die verdeckten Machtzentren bleiben dürfen, kann keine Rede mehr sein", präzisierte Verteidigungsminister.

Im Vorjahr war ein Versuch gescheitert, den Militärsicherheitsdienst, der bisher beim Generalstab angesiedelt war, öffentlicher Kontrolle zu unterstellen. Anlass war die so genannte "Affäre Perisic". Im März 2002 hatte die Militärpolizei den serbischen Vizeministerpräsidenten Momcilo Perisic unter Spionageverdacht festgenommen. Daraufhin wurde bekannt, dass der Militärsicherheitsdienst Perisic monatelang observiert hatte. Nicht einmal der damalige Ministerpräsident Djindjic war davon in Kenntnis gesetzt worden.

Mit dem Militär befaßt sich inzwischen auch die Justiz. Der frühere Generalstabchef Nebojsa Pavkovic (2000 bis 2002) ist seit 1. April in Polizeihaft, weil die Armee angeblich in einen Attentatsversuch auf den damaligen Oppositionsführer Vuk Draskovic im Juni 2000 verwickelt sein soll.

Pavkovic und vier weitere Offiziere stehen wegen Machenschaften mit Militärliegenschaften auch im Visier der Militärjustiz. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, so drohen ihnen Haftstrafen bis zu 15 Jahren. Pavkovic und seine engsten Mitarbeiter sollen sich nämlich Wohnungen und Villen in einer Gesamtfläche von 2.000 Quadratmetern unter günstigen Bedingungen zugeschanzt haben. Laut Dienstvorschriften steht Pavkovic allerdings nur eine Wohnung in der Größe von rund 150 Quadratmetern zu.

Unterkunftsprobleme und niedrige Löhne

Wegen der herrschenden Wohnungsnot beim Militär ist diese Affäre von besonderer Brisanz. Nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien sahen sich etliche Familien von Soldaten, die aus anderen Teilen des früheren gemeinsamen Staates nach Serbien und Montenegro umgezogen waren, mit dem Unterkunftsproblemen konfrontiert. Rund 18.000 Familien erhielten von der Armee keine Wohnung und waren auf teure Mietwohnungen angewiesen. Während sich der Durchschnittslohn beim Militär auf etwa 200 bis 250 Euro beläuft, sind für eine Mietwohnung etwa 150 Euro auszugeben. Dies hatte in den letzten Jahren dazu geführt, dass manch ein Berufssoldat einen Nebenjob annehmen musste, was auch gegen die Dienstvorschriften verstößt.(APA)