Über die Plünderung des Nationalmuseums in Bagdad werden immer mehr Details bekannt. Die USA waren nicht nur vorgewarnt. Es gibt auch Spekulationen, dass die Militärs den Raub zugelassen haben, damit ein kleiner, feiner US-Sammlerkreis davon profitiert.


Christoph Prantner

Wien - Der erste Schock war groß. Aber die Bestürzung jetzt, einige Tage nach der Plünderung des irakischen Nationalmuseums in Bagdad, übertrifft die erste Entrüstung noch: "Ich halte die Nachrichten kaum mehr aus. Wie blöd müssen die USA denn sein, dass sie keinen Posten vor das Museum stellen?", schimpft Hermann Hunger, der Vorstand des Instituts für Orientalistik in Wien. Der Vorfall sei "ein Verbrechen an der Menschheit", ließ indes Michael Petzet, der Präsident des Internationalen Rates für Denkmalpflege (Icomos) verlauten. Ein Panzer vor dem Museum hätte genügt, um die Katastrophe zu verhindern.

Allein: Die Amerikaner sicherten das Ölministerium statt den "Palast der Weisheit". Tausende Plünderer konnten das Museum ungehindert verwüsten. Das Untergeschoß mit den assyrischen Exponaten und Monumentalobjekten und der 1. Stock mit sumerischer und babylonischer Kunst liegen in Scherben. 170.000 Stücke sind nach Schätzung der Unesco verschwunden oder zerstört worden. Über die Schäden in der ebenfalls geplünderten Nationalbibliothek und der islamischen Bibliothek in Bagdad oder dem Regionalmuseum wie der Bibliothek in Mossul gibt es noch nicht einmal einen ersten Überblick.

"Wir haben sie (die US-Militärs; Anm.) bereits von Anfang an vor Plünderungen gewarnt", erklärt der Chikagoer Archäologe McGuire Gibbs. Er führte ein Team von über 40 Wissenschaftern, das auf Anweisung des US-Präsidenten bereits im Herbst 2002 damit begann, die kulturell bedeutsamen Stätten des Irak aufzulisten und zu kartografieren. Keine Kulturgüter, so der Auftrag an die Forscher, sollten in einem Krieg zu Schaden kommen. "Mir wurde versichert, dass alle Objekte geschützt werden", so Gibbs. Es kam anders. Und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld fiel dazu nur ein: "Wir haben die Plünderungen nicht erlaubt. Es ist einfach passiert."

Schaden

Der finanzielle wie ideelle Schaden, der dabei entstand, ist mit keinem Superlativ hinreichend beschrieben. "Das irakische Nationalmuseum rangiert in einer Liga oberhalb des Wiener Kunsthistorischen. Wenn die Berichte über die 170.000 fehlenden Objekte zutreffen, entspricht das einem Verlust des British Museum in London", erklärt der Grazer Altorientalist Hannes Galter. Das Museum sei nach der Beschädigung im Golfkrieg von 1991 erst im Vorjahr wieder eröffnet worden, dabei seien aber nicht alle Objekte wieder ausgestellt worden.

"Die Frage ist, welche Dinge wo ausgelagert wurden", so Galter. Der Goldschmuck der assyrischen Königinnen etwa, sei kein Exponat mehr gewesen. Wo er sich befindet, sei unklar. Der berühmte Sargonkopf allerdings oder der Frauenkopf und die Alabastervase aus Uruk seien ausgestellt worden. Auch ihr Verbleib ist ungewiss. "Das ist ein unschätzbarer Verlust - das waren alles Unikate." Hermann Hunger resümiert bitter: "So absurd es klingt, man muss jetzt wohl froh sein, dass die Briten und Franzosen vor 100 Jahren so viel aus dem Irak mitgenommen haben."

Immerhin: Die wichtigen Stücke sind dokumentiert. Viel schwerer für die Forschung indes wiegen die Tausenden Objekte, die in Notgrabungen in den vergangenen Jahren gerettet wurden und jetzt zerstört sind, ohne dass sie je ein Experte zu Gesicht bekommen hätte. Allein im Keller des Museums sollen Zehntausende zerbrochene Tontafeln liegen.

Im Keller befinden sich auch die Tresorräume. Diese wurden ohne Gewaltanwendung geöffnet. Viele Experten vermuten deshalb, dass ein guter Teil der Plünderungen geplant und organisiert durchgeführt worden ist. Bereits in der Sanktionszeit hat sich eine Art irakische Antiquitätenmafia gebildet, die jahrtausendealte Objekte ins Ausland verhökert hat. Diese, wird gemutmaßt, könnte auch jetzt - toleriert von der US-Armee - zugeschlagen haben.

Die Unesco hat zwar alle Museen, Auktionshäuser und Kunsthändler vor dem Ankauf gestohlener Objekte gewarnt. Dass das Diebsgut allerdings auf dem offiziellen Mark auftaucht, gilt als unwahrscheinlich. Die Schätze dürften (in Teilen oder ganz) an private Sammler gehen.

Dafür spricht auch die Einschätzung von Patty Gerstenblith, der Antiquitätenhandelsspezialistin des Archeological Institute of America: Es gebe in den USA einen kleinen, aber feinen Markt für Antiquaria aus Mesopotamien. "Es geht um etwa 50 Leute - aber ihr Wort wird in Washington gehört".

Dass die Objekte wieder an das Museum gehen, ist indes nahezu ausgeschlossen: Von den 4000 Objekten, die nach dem Golfkrieg von 1991 verschwunden sind, wurden bisher jedenfalls nur eine Handvoll wiedergefunden. (DER STANDARD; Printausgabe, 16.04.2003)