Wien - Für Said al-Zahid ist das Ende von Saddams Diktatur wie ein endgültiger Strich unter ein Stück seiner Geschichte. Erst seit dem Sturz des Regimes kann er auch außerhalb der Familie über ein bestimmtes Kapitel seiner Vergangenheit sprechen - "wie viele von uns", sagt er, "die sich vorher gar nicht getraut hätten, offen zu reden". Die Angst vor Repressalien hat den früheren Mathematiklehrer, der heute auf dem Naschmarkt einen Stand betreibt, bis ins Exil verfolgt.

Al-Zahid wurde gefoltert, weil er einen Karrieresprung ablehnte. Er verzichtete auf den Posten des Schuldirektors an einem Gymnasium in Bagdad, weil er sonst Mitglied

der Baath-Partei hätte werden müssen. Dass er seinen Schritt offiziell damit begründete, dass er sich der Position nicht gewachsen fühle, half ihm nicht. "Ein paar Tage später holte mich die Geheimpolizei von zu Hause ab mit den Worten: ,Wir müssen Sie fünf Minuten befragen‘", erzählt er. Man brachte ihn in die Zentrale, wo seine vier Brüder bereits verhört wurden. Nach Hause kam er nie wieder.

Man verband ihm Hände und Augen und fragte ihn immer wieder: "Warum sprichst du gegen Saddam?" und "Mit wem?" - kein ob. Weil er nicht antwortete, führte man ihn in den Nebenraum und nahm ihm kurz die Augenbinde ab: an der Decke ein Eisenhaken, darunter eine Leiter. Mit den Händen hinter dem Rücken, band man ihn an den Haken und zog die Leiter weg: "Wenn man länger als fünf Minuten so hängt", sagt al-Zahid, "kegelt es einem die Schultern aus." Also stellten seine Peiniger kurz vor diesem Punkt wieder die Leiter unter seine Füße, zogen sie einige Minuten später wieder weg und stellten dabei immer die gleichen Fragen. Man versetzte ihm Stromschläge, wodurch "mein Körper hin- und herschwang wie ein Pendel ...". Al- Zahid pausiert einen Moment, setzt fort: "Dazu warfen sie einen Stromgenerator an, der so laut war, dass meine Brüder meine Schreie nicht hören konnten."

Zwei Wochen später wurden al- Zahid sowie seine Frau und Kinder in ein Gefängnis nahe Bagdad gebracht, wo sie bis zu ihrer Ausweisung 1982 blieben. Al-Zahid musste dort zwar die Augen verbunden halten, wenn Wärter in der Zelle waren, "denn Blickkontakt war ein Todesurteil", aber er wurde nicht mehr gefoltert. "Ich habe ja nicht so viel gemacht", meint er: Die Schwere der Qual habe wohl doch irgendwie mit dem Vergehen zu tun.

Vielleicht hat al-Zahid aber auch überlebt, weil er keine sichtbaren Verletzungen davongetragen hatte. Er erklärt: "Mein kleiner Bruder, der dicker ist, wurde beim Autowaschen festgenommen, und sein Freund, der ihm Gesellschaft leistete, gleich dazu. Dann wurden beide, wie ich, gefoltert, aber die Schnüre, mit denen mein Bruder am Eisenhaken festgebunden war, rissen unter seinem Gewicht, und er stürzte zu Boden. Als er herauskam, fragte er mich: Schau mir ins Gesicht, habe ich Narben? Siehst du etwas?" Al-Zahid räuspert sich und fügt hinzu: "Jemand mit einer Folternarbe ging da nicht raus. Eine Narbe im Gesicht war ein Todesurteil." Vielleicht war genau das dem Freund, der den Bruder begleitet hatte, passiert. Denn ihn hat niemand mehr gesehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 16.4.2003)