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U nd damit von Anfang an klar sei, dass es sich beim Wir des einzigen von Gottes Gnaden erleuchteten Kolumnisten dieses Landes nur um einen Majestätsplural handeln kann, hub sein Elaborat so an: Nie zuvor in vierzig Jahren, die ich Kommentare schreibe, bin ich derart falsch gelegen: "Saddams Rückzug in den Häuserdschungel von Bagdad", so habe ich an dieser Stelle geschrieben, "fordert ein Blutbad heraus". Es handelt sich dabei um einen interessanten Fall von selektiver Erinnerung, wie er schon auftreten kann, wenn man die Hitze eines Gefechtes, das nicht stattfindet, als Initialzündung zu einem feurigen Lagebericht nutzt, den man sich in der sicheren Distanz einiger Tausend Kilometer aus dem Finger saugt. Erfahrene Kriegsbetrachter aus der Stellung hinter dem warmen Ofen halten den Finger aus dem Fenster in den Wind, um zu recherchieren, woher derselbe weht. Aber ein derartiger Aktionismus kann die überwältigende Erfahrung, nie zuvor in vierzig Jahren derart falsch gelegen zu sein, nicht ersetzen, vor allem dann nicht, wenn man die Chance wittert, schließlich doch noch auf jene Seite zu gelangen, auf der man schon vor noch nicht vierzig Jahren stand, etwa als amerikanische "Wissenschafter" exakt nachwiesen, dass Schwarze über einen längeren Penis, aber - Gott ist gerecht - über geringere Intelligenz verfügten als Weiße. Was seinen verdienten Lohn findet: Nie in vierzig Jahren, die ich Kommentare schreibe, habe ich mich derart über meinen dramatischen Irrtum gefreut. Über den jetzigen. Man hat schon dramatischere Irrtümer erlebt, die Freude sei dennoch vergönnt, vor allem, wenn sie durch Vergesslichkeit so trefflich untermauert wird. Dass die Vereinten Nationen dem Krieg die Legitimation versagt haben, gereicht der UNO, nicht den USA zum Schaden. Allein der Genozid an geschätzten zweihunderttausend Kurden im Verlauf von Saddams Herrschaft hätte als völkerrechtliche Legitimation dieses Krieges ausgereicht. Da fragt sich so mancher Beobachter, der vielleicht öfter irrt als einmal in vierzig Jahren, warum, wenn schon die UNO versagte, die Amerikaner nicht schon vor vielen Jahren zur Rettung der Kurden in den Irak eingefallen sind, sondern stattdessen die Terrorherrschaft Saddams unterstützt und damit seine Massenmorde ermöglicht haben, als er seinen Krieg gegen den Iran vom Zaun brach. Vielleicht liegt es einfach daran, dass die Amerikaner öfter irren als Peter Michael Lingens, woran aber hierzulande ohnehin niemand zweifelt. Es werden auch etwa vierzig Jahre sein, dass Franz Ferdinand Wolf Kommentare schreibt. Bei ihm ist von einem Geständnis, in dieser Zeit einmal falsch gelegen zu sein, nichts bekannt, aber seit er den Lesern des "Kurier" Sonntag leicht verspätet und doch brutal die unabweisliche Tatsache Der Lenz ist da entgegenschleuderte, könnte es spannend werden. Er gab sich nämlich nicht damit zufrieden, auf Seite 1 mitzuteilen: Die Natur erwacht, Wiesen grünen, Bäume knospen, Blumen beginnen bunt zu blühen. Ein Lagebericht, in dem natürlich auch das blaue Band, das der Frühling flattern lässt, nicht fehlen durfte - was soll man in ereignislosen Zeiten wie diesen schließlich sonst schreiben? Damit nicht genug, ließ er auch noch den Bandwurm meteorologischer Nostalgie flattern: So war es einmal. Früher, als es noch eine wohltemperierte Übergangszeit gab. Ein Zwischenspiel der Natur, das den milde gewordenen Winter vom langsam hochkochenden Sommer trennte. Jetzt ist das anders . . . Zu Ostern waren einstmals Flüsse und Bäche vom Eise befreit, jetzt laden spät im April Neuschneepisten zum Skilauf. - An sich egal, aber wenn schon, dann Strom und Bäche - und übrigens: Das war schon immer so. Der alte Faust musste kein Snowboarder sein, um zu wissen: Der alte Winter, in seiner Schwäche, zog sich in rauhe Berge zurück. Mit dem Versprechen jedoch Und plötzlich wird es heiß werden, könnte Wolf so falsch liegen wie nie zuvor in vierzig Jahren. Denn: So war es einmal. Und ist nicht sogar Lingens einmal falsch gelegen?

Ebenfalls ziemlich falsch, wenn auch nur so falsch wie nie zuvor in den letzten zwei Wochen, ist gestern in der "Krone" der bekannte Literat Andreas Mölzer gelegen. Wie heißt es in Huxleys "Brave new world" so schön: "Alle Tiere sind gleich, nur manche sind gleicher", taumelte der Kolumnist, selber Romancier, durch den Irrgarten der Weltliteratur. Weiter nicht schlimm. Als George Orwell seine "Animal Farm" schrieb, hätte er es nie für möglich gehalten, dass jemand einmal einen Roman wie "Der Graue" schreiben würde. So dramatisch kann man irren! (DER STANDARD, Printausgabe vom 15.4.2003)